Der Pate von Bombay
Frisuren kamen und gingen, den Pony trug man in einem Jahr lang, im nächsten kurz und vier Jahre später wieder lang. Was in einer Saison Mode war, wollte in der nächsten keiner mehr haben. Blond kam und ging, auf zweckmäßig kurzes Haar folgte feminin langes. Mary war überzeugt, daß sich der allererste Friseur schon am Morgen nach der Erfindung dieses ältesten Berufs der Welt nach einem Stylisten umgesehen hatte. Mary war beliebt bei den Kundinnen im Pali-Hill-Salon, sie hatte daher einen sicheren Job und mit den Provisionen ein recht passables Einkommen, und sie erfuhr viel. Die Kundinnen redeten gern.
In diesem Augenblick redete Comilla Marwah, während Mary mit Yasaka-Schere und Kamm ihr Haar bearbeitete. »Sie können sich gar nicht vorstellen, Mary«, sagte sie, »wie die Frau hinter Rajeev her war. Macht ein Riesendrama, wie unglücklich sie in ihrer Ehe sei - alles im Restaurant Indigo, sie im kleinen Schwarzen. Da hat sich natürlich was angebahnt. Sie ist immer ins Oberoi, hat dem Chauffeur gesagt, sie will shoppen - gehen Sie schon mal essen, Chauffeur-ji, ich brauche hier meine zwei, drei Stunden. Dann ist sie zum Haupteingang rein, durch das Hotel durch und hinten wieder raus, hat sich ein Taxi zu Rajeev genommen, ist dort zum Seiteneingang rein und in seine Wohnung rauf. Eine nette Nachmittagsnummer, und dann mit dem Taxi zurück zum Oberoi, zehn Minuten einkaufen, wegen der Tüten, und ab nach Hause mit einer Miene wie eine Sati Savitri 565 . Zu Rajeev sagt sie, sie hätte einen furchtbaren Fehler gemacht, sie hätte ihn in London nie verlassen dürfen - der ganze Quatsch. Dann lernt sie Kamal kennen, der ist reich, Typ schwerreicher Industrieller -«
Comilla mußte sich unterbrechen, weil sich eine Stylistin mit ihrer Kundin vorbeischob. Raum war in Bombay so teuer, daß selbst in den besten Salons zu viele Stühle standen, zuviel Betrieb herrschte. Es gab eine Menge Geld in der Stadt, Comilla besaß nicht eben wenig davon, und sie wußte genau, wer wieviel hatte. »Sie lernt also Kamal kennen«, fuhr sie fort, »aber nebenher ist sie auch noch mit Rajeev zusammen, neben ihrem gräßlichen Mann, meine ich. Kamal ist steinreich, er hat Beziehungen noch und noch, er ist gesellschaftlicher Mittelpunkt. Und sie ist eine attraktive Frau, das muß man ihr lassen. Sie will sich also Kamal angeln. Und zwar direkt vor der Nase ihres Mannes, die verkehren ja alle in denselben Kreisen. Sie legt wieder die alte Platte auf - so unglücklich, haay-haay, ich bin ja so traurig und so weiter. Männer können da ja nicht widerstehen. Idiotisch. Und dann ist sie mit Kamal und Rajeev gleichzeitig zusammen, können Sie sich das vorstellen?«
Mary konnte es sich ohne weiteres vorstellen. Sie wußte von Comilla Marwahs eigenen Affären, die allerdings nicht simultan, sondern seriell stattfanden. Sie setzte eine gebührend schockierte Miene auf und fragte mit genau dem angemessenen Maß an Spannung: »Und dann?«
»Was schon? Dieser Kamal verliebt sich unsterblich in sie. Sie hat ja dieses unschuldige Püppchengesicht, Sie wissen schon. Und - sagt Rajeev - sie macht einen Wahnsinns-Blowjob. Kamal verläßt also Frau und drei Kinder und verlobt sich mit dem Miststück. Ihr armer Mann ist natürlich wie vor den Kopf geschlagen, aber stellen Sie sich mal vor, was Rajeev durchmacht. Eben ist er noch ihr Held und Lover, der sie aus ihrer furchtbaren Ehe herausholen will, und im nächsten Moment ist er abgemeldet.«
»Wann ist die Hochzeit?«
»Nächste Woche.«
»Da wird Rajeev wohl Trost brauchen.«
»Ja.« Comilla betrachtete sich mißmutig in dem beschlagenen Spiegel. »Allerdings.«
Mary tätschelte ihr die Schulter. »Sie haben abgenommen. Gehen Sie ins Fitneß-Studio?«
»Ja, fünfmal die Woche.« Doch nicht einmal das Kompliment konnte Comilla von ihrer Selbstprüfung abbringen. »Und wofür das alles? Männer. Dabei sind Männer so dumm. Wollen Sie wissen, was die Moral von der ganzen Geschichte ist?«
»Sagen Sie's mir.«
»Für den Blowjob einer Hure mit dem Gesicht einer Heiligen verläßt ein Mann seine Frau.« Comilla lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und brach in ein so ausgelassenes, schallendes Lachen aus, daß Mary mitlachen, die Schere weglegen und sich auf den Tisch stützen mußte. Bald lachte der ganze Salon, lachte über Comillas unbändiges Gelächter. Ihre Stimmung hatte sich beträchtlich gehoben, und sie gab Mary hundertfünfzig Rupien Trinkgeld. Mary hatte ihr eine schöne Frisur
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