Der Pate von Bombay
hören Sie zu. Am nächsten Nachmittag schwammen Zweige im Wasser, alte Kistenbretter, auf und ab wippende Flaschen, Autoreifen, einmal ein komplettes hölzernes Hausdach. Gaston blieb jetzt die ganze Zeit auf Deck, den Arm um den Mast, und schaute durch sein Fernglas ununterbrochen hierhin und dorthin. ›Sind wir bald da?‹ fragte ich Mathu. Er zuckte die Schultern. Salim Kaka kam in einer frischen Kurta herauf. Er stellte sich in den Bug, den Blick Richtung Norden, und berührte den silbernen Talisman auf seiner Brust. Ich hätte ihn gern gefragt, wo wir sind, aber er machte ein so ernstes Gesicht, daß ich lieber nichts sagte.«
Sartaj erinnerte sich an Bilder von Gaitonde - ein mittelgroßer Mann, ein gewöhnliches Gesicht, weder häßlich noch gutaussehend, alles nicht weiter bemerkenswert, trotz der hellblauen und roten Kaschmirpullover, alles ganz alltäglich. Und jetzt diese Stimme, leise und eindringlich. Sartaj neigte den Kopf zum Lautsprecher.
»Als es Abend wurde, sah ich im letzten Licht einen winzigen, blinkenden roten Punkt im Norden. Wir warfen Anker und hielten mit einem Beiboot darauf zu. Mathu ruderte, Salim Kaka saß ihm gegenüber und behielt unser Leuchtfeuer im Auge, ich saß zwischen den beiden. Ich hatte gedacht, wir würden an einer Mauer landen, wie ich sie beim Gateway of India 216 gesehen hatte, aber vor uns ragten nur hohe Binsen auf. Salim Kaka nahm eine Stange und stakte das Boot durch das raschelnde, wispernde Uferschilf, und ich hatte, obwohl niemand mich dazu aufgefordert hatte, meinen Ghoda 227 in der Hand, geladen und entsichert. Dann schrammte das Holz unter meinen Füßen hart über den Grund. Salim Kaka leuchtete uns mit einer Taschenlampe auf die Insel, denn es war wohl eine Insel, eine weiche, feuchte Erhebung im Sumpf. Der Mond ging auf, und wir marschierten lange, eine halbe Stunde vielleicht, Salim Kaka vorneweg. Er trug eine braune Segeltuchtasche über der Schulter, groß wie ein Getreidesack. Dann sahen wir über den Halmen wieder das Leuchtfeuer. Eine Fackel, die an einem Pfahl befestigt war. Die Flammen schlugen über einen halben Meter hoch, und ich konnte den Talg riechen. Drei Männer standen in dem flackernden Lichtschein, städtisch gekleidet, hellhäutig, mit buschigen schwarzen Brauen und langen Nasen. Türken? Iraner? Araber? Ich weiß es bis heute nicht, aber zwei von ihnen hatten Gewehre, und der Lauf zeigte knapp neben uns. Der Abzug meines Revolvers lag kühl und schweißfeucht an meinem Finger. Ich verkrampfte mich und dachte, die schießen, die erledigen uns alle. Ich holte tief Luft, drehte das Handgelenk und spürte den Kolben am Daumen, und ich beobachtete sie. Salim Kaka und einer von ihnen unterhielten sich, die Köpfe dicht beieinander. Dann gab ihm Salim Kaka die Tasche und bekam dafür einen Koffer. Etwas Gelbes blitzte auf, und Schlösser klickten. Mein Arm schmerzte.
Salim Kaka kam zurück, und wir entfernten uns langsam von den Männern. Ein nasser Schilfhalm streifte meinen Hals, ich glaubte mich zwischen den Binsen gefangen, spürte nur ihren weichen Druck und geriet in Panik. Dann drehte Salim Kaka sich plötzlich um, und ich erkannte am schwachen Schein seiner Taschenlampe, daß er zwischen die Büsche schlüpfte, gefolgt von Mathu. Ich kam als letzter, bewegte mich seitwärts voran, die Hand mit dem Revolver nach unten gerichtet, den Nacken verkrampft. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie uns nachschauten, die drei Männer. Ich sehe noch die schimmernden Metallbänder um die Mündung ihrer Gewehre und ihre beschatteten Augen. Wir liefen nun schneller. Mir war, als würde ich fliegen, und das hohe Schilf, das zuvor an mir gezerrt und gekrallt hatte, strich mir jetzt sanft über die Seiten. Salim Kaka schaute zurück, und ich sah sein verwegenes Lächeln. Froh und erleichtert rannten wir los.
An einem Bach, wo das Wasser den Grund etwa einen Meter tief ausgehöhlt hatte, blieb Salim Kaka stehen, tastete sich mit dem Fuß nach unten und fand einen Halt. Mathu sah mich an, sein Gesicht kantig im fahlen Mondlicht, und ich sah ihn an. Noch ehe Salim Kaka den Fuß richtig aufgesetzt hatte, wußte ich, was wir tun würden. Der Knall des Schusses wurde vom Wasser zurückgeworfen und traf mich wie ein Schlag in den Bauch. Der Kolben hatte mich am Daumen verletzt. Erst als der Lichtblitz aus meinen Augen schwand, konnte ich wieder sehen, und mein Magen krampfte sich zusammen, löste sich wieder und krampfte sich von neuem zusammen. In dem Graben
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