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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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doch derjenige, der mir immer wieder sagt, daß die Welt kein Chaos ist. Sie haben gestern vor siebentausend Leuten vom zyklischen Wesen der Zeit gesprochen und erklärt, daß wir uns stetig auf ein neues Zeitalter zubewegen.«
    »Das habe ich gesagt?«
    Ich spürte, daß er dieses breite Lächeln auf den Lippen hatte und dieses Blitzen in den Augen, das jede Verwirrung dahinschwinden ließ. »Ja, das haben Sie gesagt. Ich habe Ihren Vortrag im Internet gelesen. Sie haben gesagt, daß alles, was wir tun, einen Sinn hat.«
    »Stimmt, Beta, das habe ich gesagt. Der Fehler liegt in deiner Frage. Der Frage nach einem Grund.«
    Ich hielt inne, dachte nach. Ich begriff immer noch nicht, worauf er hinauswollte. »Ich verstehe das nicht, Guru-ji. Bitte erklären Sie es mir.«
    »Du fragst nach einem Grund, nach dem Grund. Doch es gibt Hunderte, ja Tausende von Gründen. Es gibt nicht eine direkte Ursache, sondern viele. Und diese vielen Gründe treffen aufeinander, überkreuzen sich und fließen vorwärts, alles im Dienste des großen Ziels. Du stehst genau an der Stelle des Aufeinandertreffens von Tausenden von Gründen und fragst nach einem einzigen.«
    »Vielleicht lag es dann ja gar nicht an dem Film selbst.«
    »Richtig. Vielleicht hat die Zeit nach etwas anderem verlangt. Vielleicht floß gerade alles in eine andere Richtung, als dein Film herauskam.«
    »War das so, Guru-ji? War das so?« Diese Vermischung verschiedener Geschwindigkeiten überstieg mein Fassungsvermögen - ich hatte das Gefühl, wenn ich diese Vorstellung in den Kopf zu kriegen versuchte, würde er bersten wie eine zu vollgepackte Papiertüte. Doch Guru-ji mußte mir das erklären können. Er konnte das große Ganze sehen, und ich wollte, daß er mir ein gewisses Vertrauen in dieses Fließen vermittelte, das mich derart beutelte. »Bitte, Guru-ji. Sagen Sie es mir.«
    »Ja, Ganesh. Es gab viele Gründe, die mit dem Film selbst nichts zu tun hatten. Du hast die Wahrheit gesagt, aber im Moment ziehen die Leute den Trost junger Liebe vor. Irgendwann werden sie deine Wahrheit erkennen, bloß noch nicht jetzt. Aber warum machst du dir nur Gedanken über die Gründe, Ganesh? Es gibt auch viele Ziele. Ein Publikum ins Kino zu locken und Geld zu verdienen, das sind nur kurzfristige Ziele. Dein Film wird in fernerer Zukunft sein Dharma finden, und zwar in dem Zusammenspiel von Folgen, die sich aus seiner Veröffentlichung ergeben. Du warst erfolgreich, du weißt es bloß noch nicht.«
    Ich konnte das Ineinandergreifen von Handlung, Ziel und Wirkung, von dem er sprach, zumindest als vagen Schemen erkennen. Er war Guru-ji, er sah die große Geschichte, die soviel umfassender war als meine kleine Geschichte, er hatte die Beschränkungen hinter sich gelassen, die mir auferlegt waren und innerhalb deren Manu Tewari schrieb. Wir glaubten, daß ein Held sein Ziel und seine Feinde im ersten Akt erkannte und sein Weg daher in einem hübschen Bogen zum Höhepunkt und zum Sieg führte. Wir glaubten, daß der Held, weil er furchtlos und stark war, im achtzehnten Akt seine Belohnung erhalten würde. Doch mit einemmal begriff ich, daß uns Ursache und Wirkung unseres Tuns stets verschlössen bleiben. Nur die Erleuchteten kennen die ganze Geschichte. Nur Guru-ji konnte das Gefängnis der Zeit niederreißen und direkt in das flammende Chaos der Schöpfung blicken. »Es tut gut, das zu hören, Guru-ji«, sagte ich. »Ich hatte das Gefühl, gescheitert zu sein.«
    »Du bist nicht gescheitert«, sagte er. »Sei zuversichtlich, und tu deine Arbeit.«
    Ich versuchte es. Ich meditierte, machte meine Übungen und vergrub mich in meiner Arbeit, an der kein Mangel herrschte. Ich führte drei Operationen für Kulkarni durch und fand natürlich Mittel und Wege, im Rahmen des damit einhergehenden maßvollen Blutvergießens auch einige meiner persönlichen Feinde zu beseitigen. Das war erfreulich. Doch ich war nicht richtig bei der Sache. Ich besaß genügend Selbstdisziplin, um meine Routine aufrechtzuerhalten, aber ich hatte keine Freude daran. Zoya hingegen, die mich jeden Tag anrief, berichtete mir überschwenglich von ihren schauspielerischen Triumphen auf diversen Sets. Sie war für sechs Filme als Hauptdarstellerin verpflichtet worden, für drei davon, nachdem man International Dbamaka zum Flop erklärt hatte. Sie war die einzige von uns, die unbeschadet aus dem Debakel hervorgegangen war. Ja, sie war stärker und schöner denn je und war alle halbe Stunde im Fernsehen zu sehen.

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