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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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lehnte mich in meinem Sitz zurück und dachte über Jojo nach. Sie war meine Freundin, und sie bemerkte genauer als jeder andere, in was für einer Stimmung ich war, ob großzügig oder wütend, hart, gereizt oder einfach nur traurig. Ich vertraute ihr, aber gewisse Dinge mußte ich ihr im Interesse meiner eigenen Sicherheit verschweigen. Ich mußte vorsichtig sein. Ich mußte davon ausgehen, daß diese grauhaarige Thailänderin neben mir, die sich jetzt mit den Spitzen ihrer glänzenden Finger Erdnüsse in den Mund steckte, daß diese harmlose alte Dame womöglich eine Spionin war, die mir Schaden zufügen konnte. Vielleicht verstand sie das Hindi, das ich mit Jojo redete, vielleicht arbeitete sie für Suleiman Isa und seine Verbündeten. Es war unmöglich, aber ich mußte die Möglichkeit in Betracht ziehen.
    Kein Wunder, daß ich mich einsam fühle, dachte ich. Ich führte ein Leben zwischen Versteckspiel und Verdächtigungen. Ich mußte mich notgedrungen sogar von meinen Freunden fernhalten, das war der Preis, den ich für meine Macht bezahlte. Ich war ein Herrscher, ein König, deshalb konnte ich mich nie entspannen. Selbst ein neues Gesicht konnte mich nicht vollständig von der Angst befreien. Ich war gezwungen, allein durchs Leben zu gehen. Doch die Einsamkeit, die ich auf diesem Flug nach Amerika verspürte, war neu. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich fühlte mich wie ein ziellos durchs Universum wirbelnder Ball, hing frei schwebend in einem absoluten Vakuum. Ja, das war Freiheit, ich war unabhängig und allein. Und hatte furchtbare Angst.
    Ich brach meine langjährige Regel und bestellte mir einen Scotch. Ich hielt die Luft an und schluckte die bittere braune Medizin herunter. Dann trank ich noch zwei Gläser, und schließlich konnte ich schlafen.
    Als ich aufwachte, erstreckte sich zu meiner Rechten wie ein langgezogener Fleck Los Angeles. Es war riesig, und ich fühlte mich sehr klein. Ich wurde es nicht los, dieses Gefühl meiner eigenen Kleinheit, diese kindliche Beklommenheit. Es begleitete mich auf der Fahrt mit der Limousine ins Hotel. Die Straßen waren breit und sauber, die Autos bewegten sich in wohlgeordneten Reihen vorwärts, und alles erschien mir sehr fremd. So abgesondert, so anders als die Autofahrer, die an mir vorbeirasten, hatte ich mich in Thailand, ja selbst in Singapur nie gefühlt. Ich sah einen Inder seinen Wagen neben einem Supermarkt parken und beobachtete ihn, während er zu einem öffentlichen Telefon ging. Er hatte eine Glatze und einen Bauch und hätte jede beliebige Gasse in Bombay entlanglaufen können, ohne Aufsehen zu erregen. Wahrscheinlich hieß er Ramesh oder Nitin oder Dharam. Trotzdem fühlte ich mich ihm sehr fern. Vielleicht hatte es mit diesem weiten, wolkenlosen Himmel zu tun, dem flüssigen, farblosen Licht. Hier herrschten andere Raum- und Kräfteverhältnisse. Ich fühlte mich schwerelos.
    Meine Suite im Mondrian schwebte zwölf Stockwerke über dem Sunset Boulevard. Unten floß der Verkehr als stummes silbernes Band vorbei. Die Stille machte mich unruhig. Ich schaltete den Fernseher ein, drehte die Lautstärke auf, ging rasch duschen und rief dann Zoya an. Sie befand sich in einem Zimmer im siebten Stock, war morgens mit einem frühen Flug aus Houston gekommen und hatte unter dem Namen Madhubala eingecheckt. Ich mußte der Telefonistin den Namen zweimal buchstabieren, bis sie mich schließlich durchstellte, und dann hatte ich Zoya am Apparat. »Hallo?« sagte sie. Sie hatte einen amerikanischen Akzent angenommen.
    »Ich bin's«, sagte ich. »Ich bin in Zimmer 1202. Komm hoch. Die Tür ist auf. Komm einfach rein.«
    »Gut«, antwortete sie. »Ich komme.«
    Sie war ein braves Mädchen, genauere Anweisungen brauchte sie nicht. Ich hatte die Vorhänge zugezogen, so daß nur ein schmaler Lichtstreifen ins Zimmer fiel. Ich saß in einem Armsessel, das Licht im Rücken. Es war eine sehr dramatische Einstellung, aus ihrer Perspektive gesehen. Ich wollte den optimalen Effekt, einen Moment von absoluter Durchschlagskraft, sie sollte wie angewurzelt stehenbleiben. Und dann würde ich ihr mein Gesicht zeigen.
    Es lief wie geplant. Sie kam herein, stutzte, machte die Tür zu. »Saab?« sagte sie. Sie trug einen weißen, sehr kurzen Rock und eine knappe weiße Wickelbluse. Der erbarmungslose Schwung ihrer Taille und ihre provokativ vorgestreckten Hüften kamen perfekt zur Geltung. Sie wußte, was mir gefiel. Clevere Saali. Aber heute hatte ich sie. Ich schaltete die

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