Der Pate von Bombay
Endlich zog Bazil ab. Und Aadil räumte sein Kholi. Er packte Geld, zwei Hemden, zwei Paar Hosen und ein Paar Schuhe ein, und nach zehn Minuten war er draußen und ging, ohne zurückzuschauen, gleichmäßig dahin.
Er übernachtete unweit des Bahnhofs Dadar und zog am nächsten Tag wieder nach Mahim. Er hatte nicht vor, am Sonntag ins Maharaja Hotel zu gehen, und er war sich darüber im klaren, daß es besser gewesen wäre, Mumbai zu verlassen. Aber wo sollte er hin? Gewiß, es gab andere Städte, andere riesige Massen von Männern und Frauen, in denen er untertauchen konnte, aber er war nun einmal in Mumbai, und die Stadt hatte ihn in ihren Bann gezogen. Er hatte nicht die Kraft, sich noch einmal in Bewegung zu setzen, wieder an einen neuen Ort zu reisen, mit neuen Sprachen und neuen Menschen. In Mumbai war er zu Hause. Nach zwei Tagen hatte er eine Bleibe in der Nähe von Film City gefunden, und am Sonntag ging er schließlich doch zum Maharaja Hotel. Das mochte ein Fehler sein, aber die Jungen waren nun einmal sein Team und sorgten für seinen Lebensunterhalt. Ersatz für sie zu finden würde Zeit und Mühe kosten, und der Monat war fast zu Ende. Ein neuer Job war fällig. Er postierte sich an einer Ecke nahe dem Hotel und behielt den Eingang im Auge. Faraj und Bazil kamen um kurz vor eins in einer Autorikscha an. Sie gingen hinein, und Aadil wartete weiter. Seine Ausbilder bei der PAC und die späteren Überfälle hatten ihn Geduld gelehrt. Eine Stunde verging und noch eine. Von lauernden Polizisten war weit und breit nichts zu sehen, doch Aadil wartete weiter.
Kurz nach drei kamen Faraj und Bazil die Stufen des Hotels herunter. Sie wirkten entmutigt. Aadil folgte ihnen in großem Abstand, dann überquerte er die Straße und holte sie auf der anderen Seite ein. Keine Polizei, soviel er sah. Bazil schien zu weinen, und Faraj hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt. Aadil ging zu ihnen hinüber und faßte Bazil am Ellbogen. »Ganz ruhig«, sagte er zu Faraj. »Geht weiter.«
Er führte sie in eine kleine Grünanlage auf einem Kreisverkehr und kauerte sich unter den einzigen Baum dort. Die Jungen ließen sich mit gekreuzten Beinen ebenfalls nieder und rutschten unbehaglich hin und her. Aadil ließ sie in der Sonne schwitzen und gar nicht erst zu Wort kommen. »Ihr seid solche Idioten«, sagte er. »Was ihr getan habt, ist durch nichts zu entschuldigen.« Sie hätten ihn und sich selbst in Gefahr gebracht und ihre Unternehmungen aufs Spiel gesetzt. Das sei unverantwortlich, und ihre Trinkerei sei unvereinbar mit der Religion. Sie hätten nichts von dem begriffen, was er ihnen über die Anwendung von Gewalt beigebracht hatte.
Bazil fing wieder an zu weinen. Faraj schluckte und sagte: »Das war falsch, ich weiß.« Aadil ließ sie reden und nahm ihnen das Versprechen ab, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren. Dann führte er sie zu einem Straßenstand und kaufte jedem ein Glas Wassermelonensaft. Schließlich besprachen sie ihre nächste Aktion. Shamsul war ihr bester Kundschafter gewesen. Aufgrund seiner sanften Art und seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt hatten die Leute Vertrauen zu ihm gefaßt, Hausfrauen und Chowkidars hatten ihn für harmlos befunden und ihm alles mögliche erzählt. Auf diesen Vorteil mußte das Team nun verzichten. Nach einer knappen Woche aber hatten sie wieder ein Ziel und einen Plan. Die Adresse hatte diesmal Bazil geliefert: eine Familie in der Nähe des Flughafens Sahar. Der Sohn arbeitete in Dubai und schickte häufig Pakete. Aadil schob das Unternehmen noch vier Tage hinaus, damit sie überprüfen konnten, ob ihre Informationen stimmten. Sie sahen sich in der Gegend um, drangen auf das Gelände des Hauses vor und entfernten sich wieder. Die Operation verlief glatt, die Jungen bewahrten die Ruhe, und sie erbeuteten sechzigtausend Rupien Bargeld und eine Tüte voller Goldschmuck. Der Sohn in Dubai hatte für die Hochzeit seiner Schwester vorgesorgt. Aadil war hochzufrieden.
Faraj hatte den Auftrag erhalten, einen vertrauenswürdigen Hehler zu suchen, und er hatte einen in der Tulsi Pipe Road ausfindig gemacht. Der Kontakt war telefonisch hergestellt worden, alles war arrangiert, und sie waren dorthin unterwegs. Um zukünftigen Mißverständnissen vorzubeugen, hatte Aadil entschieden, daß sie zu dritt hingehen sollten. Sie gingen den Bahndamm entlang und um die Hütten herum, die direkt an den Zaun gebaut waren. Sie hatten sich für den späten Abend verabredet, doch
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