Der Pate von Florenz
Steinwurf weit bis zum Ufer des Arno. In die Backsteinmauern der sich an der Piazza entlangstreckenden Tuchmanufaktur waren im Erdgeschoss und im Obergeschoss jeweils zwei große Bogenfenster eingelassen, durch die viel Licht ins Innere dringen konnte. Auf der rechten Seite wurde die Bottega von einem schmalen Gebäude abgeschlossen, an dem ein Flaschenzug angebracht war, dessen dicke Seile zu einer mannshohen rechteckigen Öffnung mit einer vorspringenden Plattform aus kräftigem Balkenwerk unterhalb des Giebelwinkels hinaufführten. Mithilfe des Flaschenzuges wurden die schweren Tuchballen nach oben ins Lager auf dem Dachboden befördert. Und hatte ein Einkäufer seine Wahl getroffen, wurden die Tuchballen auf dieselbe Weise wieder hinuntergelassen und auf den Rücken von Maultieren oder auf die Ladefläche eines Fuhrwerkes geladen.
An das hintere Ende der Bottega schloss sich ein schmalbrüstiges dreistöckiges Wohnhaus an. Ein kurzer überdachter Durchgang verband es mit der Bottega. Es war seit jeher das Wohnhaus des Ersten Faktors und seiner Familie und nach altem Brauch lebten dort auch die garzoni, die Lehrlinge.
Während Sandro Fontana seinen Palazzo in der Via di Mezzo verließ und sich auf den Weg in seine Tuchmanufaktur machte, hielt Silvio auf dem Dachboden der Bottega, unter dem schweren Balkenwerk, gerade Hof. Seine Zuhörerschaft bestand aus Alessio und Marcello sowie den beiden Garzoni Paolo und Riccardo. Die dreizehnjährigen Lehrlinge waren noch nie aus der Stadt hinausgekommen. Sie hielten Silvio für einen weit gereisten Mann, dem ihr Patron Sandro Fontana eine verantwortungsvolle Aufgabe in Pisa übertragen hatte, und hingen deshalb gebannt an seinen Lippen. Sie ahnten nicht, dass er unter beschämenden Umständen nach Florenz zurückgekehrt war. Und hätten Alessio und Marcello es nicht besser gewusst, so hätten auch sie glauben müssen, dass in Silvios Leben alles zum Besten stand. Denn er gab sich so großmäulig wie eh und je.
»Donner, Blitz und Gloria, gemach, Freunde! Immer eins nach dem andern! Eine solche Fülle von Erfahrungen lässt sich nun mal nicht auf die Schnelle in ein paar kurzen Sätzen zusammenfassen, Riccardo! Glaubt mir, dass dem Pisaner in Seenot ein hohler Kürbis als Halt zweifellos zehn Mal lieber ist als das Evangelium des Johannes«, schwadronierte er wie ein zweiter Marco Polo und schnippte einen Wollflusen von seinem braunseidenen Wams. Er hatte es sich auf ein paar Musterballen aus golddurchwirktem Damast bequem gemacht, die im vorderen Teil des Wolllagers auf einem mit Filz bespannten kniehohen Holzpodest aufgereiht waren, weil sie begutachtet werden sollten. »Und was seine Wesensart angeht, so gibt es wohl keinen Zweifel, dass der Pisaner von überaus wankelmütiger Natur ist. Ich denke, das hat mit der Nähe zum Meer und zu den Gezeiten zu tun. Ebbe und Flut, ihr versteht? Dieses Küstenvolk ist nun mal stärker den Mondphasen ausgesetzt als wir hier in der Ebene. Und das erklärt auch, warum die Weiberröcke …«
»Das erklärt gar nichts, Silvio!«, fuhr Alessio ihm bissig ins Wort. Es ärgerte ihn, dass Silvio sich grinsend auf dem Damast breitmachte und sich aufblähte wie ein Pfau, wo doch jeden Augenblick ihr Vater eintreffen und das Unwetter über ihn hereinbrechen konnte. Sein Verdruss rührte daher, dass er argwöhnte, ihr Vater bevorzugte Silvio und ging mit ihm längst nicht so hart ins Gericht wie mit ihm selbst und Marcello, wenn sie etwas ausgefressen hatten. Wie hart die Strafen ihres Vaters manchmal auch ausfielen, Silvio war schnell wieder obenauf und sonnte sich im Wohlwollen des Vaters, als wäre nichts gewesen. Und das missfiel ihm, je älter er wurde. »Es erklärt vor allem nicht, wieso Vater dich so überraschend nach Florenz zurückbeordert hat! Irgendeine überragende Leistung wird es wohl kaum gewesen sein, denn sonst hätte er keinen Wutanfall bekommen, als der Brief seines Pisaner Geschäftspartners hier eintraf! Wieso hat der verlangt, dass du auf der Stelle deine Sachen packst und aus Pisa verschwindest? Wie wäre es, wenn du endlich mal damit herausrückst?«
Riccardo und Paolo machten ein verblüfftes Gesicht und spitzten nun erst recht die Ohren.
»Lass ihn doch, Alessio! Das wird Vater bestimmt noch mit ihm bereden«, sagte Marcello schnell, der es nicht für angebracht hielt, vor den beiden Lehrlingen schmutzige Wäsche zu waschen. Was immer Silvio angestellt hatte, es waren Familienangelegenheiten, die man nicht in
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