Der Pathologe
Mom.«
»Ja, ja, das weiß ich doch.« Mit Tränen in den Augen lächelte sie Jeremy an. Sie trug einen unförmigen braunen Mantel über einem Polyester-Pullover und einer strapazierfähigen Jogginghose. Der Pullover war rot-grün; Rentiere tänzelten über ihren üppigen Busen. Ihre Haare waren kurz, dauergewellt, von einem unscheinbaren Braun mit einzelnen grauen Stellen. Ihre Augen wirkten müde.
Nur eine weitere Frau mittleren Alters, die die Jahre zermürbt hatten. Als sie jung war, hatte sie sich einen Liebhaber genommen, und aus seinem Samen war Doug hervorgegangen. Jeremy hatte sie vorher nie richtig angesehen.
»Ich lasse euch beide jetzt allein«, sagte er.
»Bye, Doc.«
»Einen schönen Tag, Dr. Carrier.«
Detective Bob Doresh kam aus dem Nichts und stellte sich ihm in den Weg, als er zur Treppe ging.
»Ist der Aufzug nichts für Sie, Doc?«
»Ich muss was für meine Figur tun.«
»Hatten Sie letzte Nacht viel um die Ohren, Doc?«
»Was meinen Sie damit?«
Doreshs grobes Gesicht war grimmig. Seine Kiefermuskeln traten hervor. »Wir müssen miteinander reden, Doc. In meinem Büro.«
»Ich habe Patienten.«
»Die können warten.«
»Nein, das können sie nicht«, sagte Jeremy. »Wenn Sie mit mir reden wollen, dann bei mir.«
Doresh kam näher. Jeremy stand mit dem Rücken an der Wand, und einen Moment lang glaubte er, der Detective würde ihn dagegenpressen. Das Grübchen in Doreshs fleischigem Kinn zitterte. Herrgott, man könnte etwas darin
verstecken
.
»Ist das sehr wichtig für Sie, Doc?
Wo
wir miteinander reden?«
»Es geht nicht darum, wer von uns weiter pinkeln kann, Detective. Ich bin durchaus bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten – auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was das große Problem ist. Machen wir’s gleich hier, damit ich keine Zeit verliere.«
»Das große Problem«, sagte Doresh. Er rückte noch näher. Jeremy roch den Speck, den er zum Frühstück gegessen hatte. »Ich hab ein
riesen
großes Problem.« Er legte eine Hand auf die Hüfte.
Jeremy wurde blass. »Noch eine? Das ist unmöglich.«
»Unmöglich, Doc?« Doreshs Augen blitzten.
Unmöglich, weil das Ungeheuer die ganze Nacht mit seiner Freundin gespielt hat.
Wie konnte ich mich so irren?
»Was ich sagen wollte – mein erster Gedanke war, nicht schon wieder. So viel Tod. Es ist unmöglich zu begreifen.«
»Ach.« Doreshs Lächeln war unerträglich. »Und das schätzen Sie nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Worauf zum Teufel wollen Sie hinaus, Detective?«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Jeremy eine Bewegung weiter hinten im Flur. Mrs. Vilardi kam aus Dougs Zimmer, sah sich um, erblickte Jeremy und winkte ihm zu. Sie hob eine imaginäre Tasse an den Mund. Gab Jeremy zu verstehen, dass sie sich einen Kaffee holen wollte. Als ob sie seine Erlaubnis brauchen würde.
Jeremy winkte zurück.
»Ein Fan von Ihnen?«, fragte Doresh.
»Was wollen Sie von mir? Bringen wir’s hinter uns.«
»Schön«, sagte Doresh. »Wie wär’s mit einem Kompromiss? Weder Ihr Zimmer noch mein Zimmer – Gottes Zimmer.«
Die Krankenhauskapelle – der
Meditationsraum
– lag neben der Eingangshalle, direkt hinter dem Entwicklungsbüro. Der offiziell konfessionslose Raum war nachträglich eingerichtet worden: drei Reihen Bänke aus heller Esche auf einem dünnen roten Teppichboden, Plastikfenster, die wie Buntglasfenster aussehen sollten, eine niedrige, schiefe Decke mit glitzerndem Verputz. Die Bankreihen waren auf ein an der Wand befestigtes Aluminium-Kruzifix ausgerichtet. Eine Bibel lag auf einem Pult im hinteren Teil des Raums, neben einem Gestell voller inspirativer Broschüren, die evangelische Glaubensgemeinschaften gestiftet hatten.
Jeremy vermutete, dass der Raum von Zeit zu Zeit genutzt wurde, aber er hatte nie jemanden hineingehen oder herauskommen sehen.
Doresh betrat ihn, als wäre er schon früher hier gewesen.
Was ist, soll mich das vielleicht ermutigen, ein Geständnis abzulegen?
Der Detective ging mit großen Schritten zur vordersten Reihe, zog seinen Regenmantel aus, legte ihn über eine Bank, setzte sich und klopfte auf einen Platz rechts neben sich. Bedeutete Jeremy, sich neben ihn zu setzen.
Und jetzt beten wir zusammen?
Jeremy ignorierte die Einladung, ging um Doresh herum und stellte sich ihm gegenüber hin.
»Was kann ich für Sie tun, Detective?«
»Sie können damit anfangen, dass Sie erklären, wo Sie gestern Nacht gewesen sind, Doktor.«
»Zu welcher
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