Der Pathologe
mitspielte.
Das Mädchen ertrug die Behandlung problemlos. Ihr Vater, ein tougher Typ, eine Art Manager, sagte: »Das war erstaunlich.«
»Jennifer ist erstaunlich.«
Der Typ schüttelte den Kopf. »Mann – Sie sind gut.«
Jetzt war es 18 Uhr, und er hatte frei. Er wollte unbedingt einen klaren Kopf behalten. Um mental Platz zu haben für Dirgrove, seine Psychopathologie, seine Werkzeuge. Die Frau, die mit Sicherheit sein nächstes Opfer sein würde.
Dirgrove arbeitete später als üblich und tauchte erst kurz nach 20 Uhr an seinem Wagen auf. Als er den Ärzteparkplatz verließ, wandte er sich nach Süden.
Weg von seinem Kalkstein-Horst am Hale Boulevard. Das war das erste Mal.
Los geht’s.
Eine großartige Nacht zum Observieren. Das Thermometer war noch weiter gefallen, aber die Luft war trocken. Sie war auch dünner geworden, als ob eine Gottheit alle überflüssigen Gase absaugte. Jeremy atmete schwer, fühlte sich berauscht und unbeschwert. Der Schall schien sich rascher fortzupflanzen, und obwohl die Fenster seines Wagens geschlossen waren, drang der Lärm der Stadt an seine Ohren. Die Lichter waren heller, die Leute gingen schneller, jedes nächtliche Detail stach reliefartig hervor.
Es herrschte kein Mangel an Fahrzeugen. Zahlreiche städtische Autofahrer waren unterwegs und freuten sich über das klare Wetter und Straßen ohne Rutschgefahr. Fuhren zu schnell und voller Euphorie.
Alle funktionierten auf Spitzenniveau.
Dirgrove fuhr in Richtung der Asa Brander Bridge – dieselbe Strecke, die Jeremy zu Arthurs Mietshaus in Ash View gebracht hatte. Aber anstatt in das Industriegebiet abzubiegen und den Weg zum Highway zu nehmen, fuhr der Buick weiter geradeaus.
Richtung Flughafen.
Nach sechs Häuserblocks bog er nach rechts in eine viel befahrene Geschäftsstraße ein. Nach zwei weiteren Blocks waren sie auf dem Airport Boulevard, und Dirgrove hielt vor einem Motel.
Rote Leuchtschlangen buchstabierten THE HIDEAWAY über einem Neonbild zweier überlappender Herzen. Das Motel pries Massagebetten an, völlige Abgeschiedenheit (direkt hier draußen an der Hauptverkehrsstraße) und Sexfilme im Kabelprogramm. Auf der einen Seite des Motels war eine Tankstelle, auf der anderen ein Laden mit dem Namen TravelAid, in dem nicht abgeholte Gepäckstücke wiederverkauft wurden. Etwas weiter im selben Block gab es ein Geschäft mit Büchern und Videos für Erwachsene, zwei Schnapsläden und ein Hamburgerrestaurant mit Drive-in.
Die Zimmer des Motels gingen auf einen Innenhof hinaus. Die Einfahrt war groß genug für zwei Fahrzeuge. Jeremy parkte auf der anderen Straßenseite und überquerte den Airport Boulevard zu Fuß. Er stand so auf dem Bürgersteig vor dem Motel, dass er durch den Innenhof das Fenster mit der Aufschrift BÜRO sehen konnte. In seinem Rücken brauste der Verkehr vorbei. Über ihm starteten und landeten Flugzeuge. Niemand benutzte den Bürgersteig. Es stank nach Düsentreibstoff.
Die Fenster des Motel-Büros hatten keine Vorhänge, und der Raum war hell erleuchtet. Jeremys Standort gewährte ihm einen unverstellten Blick auf Ted Dirgrove, der gerade eincheckte. Der Chirurg machte einen so entspannten Eindruck wie jemand auf Erholungsurlaub.
Jeremy bemerkte, dass er nicht unterschreiben musste. Ein Stammgast? Dirgrove bekam seinen Schlüssel und ging zu einem Zimmer auf der Ostseite des Innenhofs.
Schick in seinem schwarzen Jackett und der grauen Hose. Er pfiff vor sich hin.
Zimmer 16.
Jeremy kehrte zu seinem Wagen zurück und setzte seine Observierung des Hideaway von der anderen Straßenseite aus fort. Er hatte sich gerade rechtzeitig verzogen, denn fünf Minuten später bog Gwynn Hausers Lexus auf einen Parkplatz ein, der drei Plätze neben dem Buick lag.
Sie stieg aus, sah sich nicht groß um, ging lässig in den Innenhof und schwenkte dabei ihre Handtasche.
Sie hatte eine lange schwarze Perücke über ihren blonden Bubikopf gezogen und trug den weißen Pelzmantel, den Jeremy von ihrem letzten Stelldichein mit Dirgrove kannte. Die Einfahrt zum Motel war besser erleuchtet als die Straße durch das Industriegebiet, und selbst auf diese Entfernung konnte Jeremy sehen, dass der Mantel ein billiges Imitat war, so stachlig wie magnetisierte Eisenspäne.
Die Perücke war ebenfalls billig, ähnelte menschlichem Haar nicht mal annähernd.
Sie mischte sich unters gemeine Volk.
Er wartete, bis sie zehn Minuten verschwunden war, ging über die Straße zum Büro und buchte ein Zimmer zum
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