Der Pathologe
Detail gegangen«, antwortete Gwynn Hauser. »Er sagte nur, Augie sei für seine Grausamkeit bekannt – dafür, grausame Dinge zu tun. Dass Augie ihn nervös mache und er ihn nicht in der Nähe seiner Familie haben wolle. Oder in meiner Nähe. Ich hab nicht nachgefragt.« Ihre Lider flatterten. »Um ehrlich zu sein, Ted über ihn reden zu hören hat mich zu Tode gelangweilt. Ihn über seine Unsicherheit hinwegtrösten zu müssen – damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Neurotisch, nicht abgerissen.«
»Genau. Die reine fehlgeleitete Energie gefällt mir jedenfalls deutlich besser.«
Abermals schlug sie die Beine übereinander. »Um ehrlich zu sein, ich habe allmählich die Nase ein bisschen voll von Ted. Wenn es hart auf hart kam, reagierte er genau wie alle anderen.«
»Langweilig.«
»Langweilig und wie ein kleines Würstchen. Er muss immer gepusht werden. Hält sich für einen tollen Kerl, ist aber im tiefsten Innern nur ein Familienvater, der fremdgeht.«
»Was können Sie mir sonst noch über Augie Graves sagen?«, fragte Jeremy.
»Nichts«, sagte sie. Ihre linke Hand streichelte ihre rechte Brust. »Mann, Sie haben aber wirklich die Zügel in der Hand, nicht wahr? Platzen hier rein wie ein Berserker und bringen mich dazu, Dinge zu tun, die ich nie für möglich gehalten hätte.«
Ihr Gesicht hatte wieder Farbe angenommen. Pfirsichtöne mit einem Anflug von tieferem Rot.
Sie lächelte und entblößte eine Reihe perlweißer, glänzender Zähne. »Und wenn man Sie so anschaut, käme man nie auf den Gedanken … Sie könnten mir Dinge beibringen, nicht wahr?«
»Alles Teil der Ausbildung«, erwiderte Jeremy und erhob sich, um zu gehen.
»Vielleicht«, sagte sie, »können Sie mir eines Tages mehr darüber erzählen.«
50
Viertel nach acht.
Jeremy bekam Augusto Graves’ Büronummer heraus, indem er die Vermittlung des Krankenhauses anrief. Sie hatte keine Privatadresse von ihm, und einen Pieper trug Dr. Graves auch nicht.
Keine Patienten, reine Forschung.
Graves’ Räume im Krankenhaus befanden sich im Ostflügel eines Nebengebäudes, das gegenüber vom Hauptgebäude auf der anderen Straßenseite lag. Ein neueres Gebäude, das von der klinischen Welt abgesondert war. Stille Räume, reserviert für die Laboratorien viel versprechender Wissenschaftler. Ein Zufluchtsort, wo ein brillanter, grausamer Verstand Amok laufen konnte.
Das Krankenhausgebäude, das dem Schwesternparkplatz am nächsten lag.
Graves, wie er beobachtet und wartet. Wie er Jocelyn jeden Tag zu ihrem Wagen gehen sieht.
Jocelyn ist glücklich nach einem Tag Arbeit und noch glücklicher, zu Jeremy nach Hause gehen zu können. Begegnet einem gut aussehenden Mann in einem weißen Kittel, wird von ihm
gegrüßt
.
Junge Schwester, älterer Arzt. Die Krankenhaushierarchie diktiert Respekt.
Sein Ausweis würde es bestätigt haben. Dr. med., Dr. phil., ordentlicher Professor. Wenn er sprach, dann sanft und verbindlich. Warum hätte sie Verdacht schöpfen sollen?
Graves’ Laboratorium lag im Erdgeschoss, und die Tür war offen.
Jeremy stand neben der Türöffnung und spähte hinein. Durch große Nordfenster konnte man den Parkplatz gut überblicken.
Er trat ein. Die Ausstattung war nicht weiter ungewöhnlich, nur die übliche Mischung aus schwarzen Tischen, glänzenden Gläsern und High-Tech-Ausrüstung. Jeremy erkannte verschiedene Laser – fest eingebaute und Handapparate, die minutiös aufgereiht waren, jeder einzelne beschriftet und alle mit NICHT-BERÜHREN-Aufklebern versehen. Computer, Scanner, Drucker und eine Vielzahl anderer Geräte, die er nicht kannte.
Eine Wand war Büchern vorbehalten. Allgemeinmedizin und Chirurgie. Medizinische Zeitschriften in Sammelordnern. Alles perfekt organisiert. Keine chemischen Gerüche; hier wurde saubere Forschung betrieben.
Graves war nicht hier. Zu sehen war nur eine Frau in einer marineblauen Hausmeister-Uniform, die den Boden wischte und Stühle gerade hinstellte. Wahrscheinlich noch eine osteuropäische Einwanderin, die ihrem Job mit einem resignierten Gesichtsausdruck nachging.
Graves hatte sich einen Büroraum in einer Ecke des Labors eingerichtet. Sein Schreibtisch war groß und solide und von einer fleckenlosen Glasscheibe bedeckt.
Leer, abgesehen von einem Eingangs-Ausgangs-Kasten aus Rosenholz. Beide Fächer enthielten säuberlich gestapelte Schriftstücke.
Jeremy eilte hinter den Schreibtisch, versuchte die Schubladen zu öffnen; alle abgeschlossen.
»Hey«, sagte die
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