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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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die Guten, Harry. Ziemlich machomäßig, passt eher zu … Louis L’Amour.«
    »Großartiger Schriftsteller«, sagte Maynard. »Großartiger Mensch. Hast du Probleme mit dem Konzept?«
    »Ich war Richterin, Schatz. Mit den Bösen hatte ich jeden Tag zu schaffen. Es sind die angeblich Guten, bei denen ich mir nicht so sicher bin.«
    »Ich bin einigen schlimmen Figuren in den Korridoren des Außenministeriums begegnet«, sagte Edgar Marquis. »Die logen um des Spaßes und des Profits willen, wenn ihr so wollt – mitunter schien Korruption das wichtigste Produkt des Ministeriums zu sein. Das Gewerbe zieht Halunken regelrecht an.«
    »Ah, die Dinge«, sagte Maynard, »die sie einem in der Diplomatenschule nicht erzählen.«
    »Oh, ja«, erwiderte Marquis. Traurig, als ob es ihm wirklich zu schaffen machte.
    »Nimm’s dir nicht zu Herzen, Edgar, für die akademische Welt gilt das Gleiche«, sagte Norbert Levy. »Ich bin damit zurechtgekommen, indem ich die Dummköpfe ignoriert und mich auf meine Arbeit konzentriert habe. Ich nehme an, dass dir deine Arbeit dieses Privileg nicht zugestand, Eddie. Das Wesen der Gemeinschaft und all das. Wie hast du es ausgehalten?«
    »Jahrelang gar nicht, mein Junge. Die Tage in Washington waren eine Qual für mich. Schließlich bin ich dahintergekommen, dass der Trick darin besteht, mich von dem fern zu halten, was als Zivilisation bezeichnet wird. Mir wurde eine Position in England angeboten – am Court of Saint James sozusagen. Als Assistent der Hure, die man zum Botschafter ernannt hatte. Ich konnte mir nichts Abstoßenderes vorstellen als diese spezifische Mischung aus Doppelzüngigkeit und Adelsstand. Ich habe den Posten abgelehnt, einen Strich durch meine Zukunft gemacht und mich um abgelegene Außenposten bemüht, wo ich nützlich sein konnte, ohne mich der Kultur der Heuchler und Schmeichler zu beugen.«
    »Mikronesien«, sagte Arthur an Jeremy gewandt. Seit einer ganzen Weile das erste Anzeichen dafür, dass jemand sich seiner Anwesenheit bewusst war.
    »Die kleineren, unbekannteren Inseln von Mikronesien und Indonesien«, erklärte Marquis. »Orte, wo man mit Antibiotika und gesundem Menschenverstand noch etwas ausrichten kann.«
    »Also, Eddie«, sagte Richterin Balleron, »du bist im Herzen ein Sozialarbeiter.«
    Der alte Mann seufzte. »Es gab eine Zeit, da blieben gute Taten ungestraft.«
    Ein weiteres Schweigen erfasste den Raum, und abermals dachte Jeremy, dass sie alle traurig dreinblickten.
    Es gibt eine Vorgeschichte, in die ich nicht eingeweiht bin. Etwas, das sie miteinander gemein haben – etwas, das sie nicht erklären werden, weil ich nur vorübergehend hier bin.
    Warum
bin
ich hier?
    Ein weiterer Versuch, Arthurs Blick auf sich zu lenken, blieb erfolglos. Die Augen des Pathologen waren wieder auf seinen Teller gerichtet, während er sein Kalbfleisch zerteilte.
    »Ich glaube, wir haben begriffen, was du meinst, Harry«, sagte Norbert Levy. »Es wird immer böse Buben in unserer Mitte geben, und sie sind nicht so schwer zu erkennen. Im Gegenteil, sie sind banal.«
    »Banal und grausam«, sagte Harry Maynard. »Anspruchshaltung, Gefühllosigkeit, die Unfähigkeit zur Triebkontrolle.«
    Jeremy war überrascht, sich selbst sagen zu hören: »Das entspricht genau den Daten, Mr. Maynard. Gewohnheitsmäßige Gewaltverbrecher sind impulsiv und gefühllos.«
    Fünf Augenpaare waren auf ihn gerichtet.
    Tina Balleron fragte: »Dr. Carrier, reden wir von wirklichen psychologischen Untersuchungsergebnissen oder von bloßen Vermutungen?«
    »Von Untersuchungsergebnissen.«
    »Vorgeschichten oder Gruppenstudien?«
    »Beides.«
    »Endgültig oder vorläufig?« Die leise Stimme der Frau nahm ihren Fragen nichts von ihrer Schärfe. Richter fangen als Anwälte an. Jeremy stellte sich vor, wie Balleron starke Männer ins Kreuzverhör nahm und sie zu armseligen Häufchen zurechtstutzte.
    »Vorläufig, aber höchst überzeugend.« Jeremy nannte Einzelheiten. Niemand sagte etwas. Er fuhr fort, ging näher auf bestimmte Punkte ein, zitierte Quellen, ging in die Details.
    Jetzt waren sie interessiert.
    Er machte weiter. Hielt einen kleinen Vortrag. Stellte fest, dass er sich für das Thema erwärmte, Schwierigkeiten hatte, die kalten Tatsachen von den Bildern zu trennen, die in seinem Kopf herumspukten.
    Humpty-Dumpty-Situation.
    Wissenschaft war beklagenswert inadäquat.
    Er fühlte, wie ein Schluchzen in seine Kehle stieg. Hörte auf zu reden. Sagte: »Das ist alles.«
    Arthur Chess

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