Der Pathologe
empfinden, und hoffte, dass er sich nicht blamiert hatte. Der Lincoln schnurrte im Leerlauf, und Arthur starrte durch die Windschutzscheibe.
Jeremy öffnete seine Tür, gab Arthur noch eine Chance.
Ihm war warm ums Herz bei dem Gedanken, an einer Sache teilzuhaben. Auf einmal – er hatte keine Erklärung dafür – wollte er
beliebt
sein.
Arthur starrte unverwandt nach vorn.
»Nun denn«, sagte Jeremy.
»Gute Nacht«, sagte Arthur.
»Nochmals vielen Dank.«
»Keine Ursache«, sagte Arthur. Und dann nichts mehr.
18
Als Jeremy zu Hause ankam, hatte er Arthurs merkwürdige, unvermittelte Kälte beiseite geschoben. Es gab schlimmere Dinge im Leben als gesellschaftliches Fehlverhalten. Als er in sein Bett kroch, war sein Kopf leer, und er schlief wie ein Stein.
Das kalte Licht am Morgen – und ein Kater – ließ weitere Selbsterforschung nicht zu. Er warf Aspirin ein, riskierte einen Lauf durch die eiskalte Luft, nahm eine siedend heiße Dusche und rief Angela zu Hause an, ohne sie zu erreichen. Es war Samstagmorgen, aber seine Patienten waren auf ihn angewiesen, und plötzlich hatte er Lust zu arbeiten. Um neun saß er an seinem Schreibtisch und bemühte sich, den Sand unter seinen Lidern und das Pochen in seinen Schläfen zu ignorieren.
Sein jämmerlicher Kapitelanfang starrte ihn vorwurfsvoll an. Er beschloss, seine Visite früher als gewöhnlich vorzunehmen, alle seine Patienten vor dem Mittagessen zu besuchen und mehr Zeit mit jedem Einzelnen zu verbringen.
Er hatte sich angezogen wie sonst auch, aber da er sich zerknittert und unbehaglich fühlte, griff er sich seinen weißen Kittel vom Haken an der Tür und zog ihn über. Den Arztkittel vermied er normalerweise, um sich von den anderen Ärzten zu unterscheiden.
Ich bin der Arzt, der ihnen nicht wehtut.
Das war bei Kindern ganz hilfreich. Nicht dass er noch viel mit Kindern zu tun hätte. Zu viel Schmerz. Mit manchen Dingen konnte er einfach nicht umgehen.
Erwachsenen Patienten schien es egal zu sein, wie man sich anzog, solange man nicht übertrieben viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte. Einige fanden sogar Trost in dem Image, das der Arztkittel ausstrahlte.
Krankenhausrituale, Priestergewänder. Hier kommt ein
Fachmann
.
Wenn sie nur wüssten.
Ein paar kleinere Krisen sorgten dafür, dass er bis in den Nachmittag hinein beschäftigt war, und er dehnte den Tag noch weiter aus, indem er sich länger bei einigen Kranken aufhielt, sich mit mehreren Krankenschwestern zusammensetzte und sorgfältig – mit untypischer Lesbarkeit – seine Notizen in die Tabellen übertrug.
Eine Nachricht von Angela besagte: »Tut mir Leid mit heute, man hat mich hinzugezogen.«
Eine größere Krise ergab sich kurz vor drei: Mann mit Schusswaffe in der Nähe der Gynäkologie, und die Frau in der Zentrale bestand darauf, dass Dr.
Carrier
benötigt wurde.
Es stellte sich heraus, dass es um den Ehemann einer Hysterektomie-Patientin ging, der von einer Schwester mit einer verräterischen Ausbuchtung unter seinem Pullover entdeckt worden war und jetzt allein und vor sich hin brütend in einem geräumten Wartezimmer saß.
Der Sicherheitsdienst war benachrichtigt worden, wie die Stationsleiterin Jeremy informierte. Der Ehemann sei wütend, er hätte sie schon immer nervös gemacht. Den Krankenhausbestimmungen zufolge müsse jemand von der Psychiatrie dabei sein, und seine Abteilung hätte gesagt, dass die Reihe an ihm sei.
Die Angelegenheit entpuppte sich weniger als beängstigend, sondern eher als traurig. Obwohl alle ihm davon abrieten, betrat Jeremy das Wartezimmer, bevor die Sicherheitsleute eingetroffen waren. Der Mann war unrasiert, hatte rote Augen und stand unter dem Einfluss einer Depression. Jeremy setzte sich, redete mit ihm und hörte zu, und als der Mann fragte: »Warum sind alle so nervös?«, zeigte Jeremy auf die Ausbuchtung.
Der Mann lachte und zog seinen Pullover und sein Hemd hoch. Darunter befand sich ein Kolostomiebeutel. Der Mann sagte: »Die können mich filzen, wenn sie wollen. Auf ihr eigenes Scheißrisiko.«
Er lachte heftiger, und Jeremy lachte ebenfalls. Die beiden redeten noch ein wenig, und der arme Kerl kam auf Dinge zu sprechen, über die er bisher noch mit niemandem offen geredet hatte. Fluchte über seine Krankheit, über die seiner Frau, über die Aussicht, kinderlos zu bleiben; es gab eine Menge, worüber man wütend sein konnte. Nach einer Stunde machte er einen ruhigen Eindruck, aber Jeremy wäre nicht überrascht
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