Der Pathologe
war er ein wenig außer Atem und überzeugt davon, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, so viel von sich zu offenbaren. Eine nette, gesunde junge Frau aus einer wohlhabenden, intakten Familie – ein Clan selbstbewusster, berufstätiger Menschen – würde von seiner Wurzellosigkeit, der Traurigkeit der ganzen Angelegenheit, abgestoßen sein.
Die Leute reden davon teilzuhaben, aber man kann nicht an der Vergangenheit teilhaben. Oder an irgendwas sonst von Bedeutung.
Er überlegte gerade, was das für seinen gewählten Beruf bedeutete, als Angela sich aufsetzte, ihn umarmte, ihm durch die Haare fuhr und mit seinen Ohren spielte.
»Das ist die ganze erbärmliche Geschichte«, sagte er.
Sie legte eine seiner Hände auf ihre Brust. »Krieg das nicht in den falschen Hals, aber ich habe meine Meinung geändert.«
»Über was?«
»Es nicht zu tun.«
Später, als sie zu gähnen begann, sagte Jeremy: »Ich lasse dich schlafen.«
»Tut mir Leid. Ich bin derart
gerädert
.« Sie drückte ihn hart. »Willst du die Nacht über hier bleiben?«
»Lieber nicht«, sagte er.
»Das hast du bisher noch nie gemacht. Ich nehme an, du hast einen Grund dafür.«
»Ich schlafe sehr unruhig und möchte dich nicht stören. Du hast morgen einen langen Tag vor dir, wenn du die Schicht von deinem Kollegen übernimmst.«
»Ja«, sagte sie. »Da ist was dran.«
Gleichzeitig sagten sie: »Der Dienstplan.«
Als sie ihn zur Tür brachte, fragte sie: »Wie war denn nun das Abendessen mit Dr. Chess?«
»Nichts Besonderes.«
»Ging es um medizinische Fragen?«
»Nein«, sagte er. »Mehr um allgemeine Dinge. Glaub mir, es lohnt sich nicht, davon zu reden.«
Er verließ ihr Mietshaus, stieg in seinen Nova und ließ den Motor an. Als seine Scheinwerfer angingen, gingen auch die eines anderen Wagens hinter ihm an, ein Stück weit die Straße hinunter. Als er vom Bordstein losfuhr, tat es ihm der andere Wagen gleich und fuhr in dieselbe Richtung.
Was zum Teufel soll das?
Jeremy gab Gas. Der andere Wagen hinter ihm behielt sein Tempo bei. Ein großer Geländewagen, der Höhe seiner Scheinwerfer nach zu urteilen. Als Jeremy links in die Saint Francis Avenue einbog, fuhr der andere Wagen geradeaus weiter.
So viel zu seinen Verfolgungsphantasien.
»Ich muss mich am Riemen reißen«, sagte er laut.
Egal was diese alten Narren von der Realität halten, ich brauche etwas davon.
20
Arthur nahm nicht an der nächsten Sitzung der Tumor-Kommission teil. Ein anderer Pathologe hatte den Vorsitz, ein außerordentlicher Professor namens Barnard Singh, der klug und beturbant war und einen perfekten grauen Anzug anhatte. Er kam sofort zur Sache und zeigte Dias von einem synovialen Sarkom. Enzianblaues Färbemittel ließ die Exemplare wunderbar hervortreten.
Jeremy fragte den Röntgenologen neben sich: »Wo ist Dr. Chess?«, und erhielt ein Achselzucken zur Antwort.
Er saß die Stunde voller Unruhe ab und konnte sich eine gewisse Neugier nicht verkneifen.
Er rief Arthurs Nebenstelle an und hörte das Freizeichen. Ging hoch, um nach seinen Patienten zu sehen, und versuchte es drei Stunden später. Ohne zu wissen, was er sagen sollte, wenn Arthur dranginge.
Nur Hallo sagen, alter Junge. Räusper, räusper. Wie geht’s den alten CCC-Kumpels?
Niemand ging an den Apparat.
Dann dachte er: Was ist, wenn ihm etwas zugestoßen ist? Trotz seiner äußeren Robustheit war Arthur ein alter Mann. Und danach, wie er Alkohol und Cholesterin verputzte …
Vielleicht hatte er einen Herzinfarkt gehabt und lag auf dem Fußboden in seinem Laboratorium, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte. Oder Schlimmeres.
Jeremy stellte sich die lange Gestalt des Pathologen vor, umgeben von Gläsern mit schwebenden Organen, Skelettproben, Leichen in verschiedenen Stadien der Sektion. Steriles Operationswerkzeug, bereitgelegt für Schnitzarbeit am Menschen …
Laserskalpell?
… ein teures Gerät. Gäbe es einen Grund für einen Pathologen, sich eins zu beschaffen?
Er eilte zum Hauptflügel und ging die Treppe ins Untergeschoss hinunter. Die Tür zu Arthurs Büro war immer noch verschlossen, und niemand reagierte auf Jeremys Klopfen.
Die Leichenhalle befand sich am gegenüberliegenden Ende des Korridors, und ihre Tür war offen. Der schläfrig dreinblickende Mann am Empfang war mit Papierkram beschäftigt. Nein, er hatte Dr. Chess heute nicht gesehen und hatte keine Ahnung, wo er war.
»War er gestern hier?«
»Äh, nein, ich glaube nicht.«
Jeremy ging denselben Weg
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