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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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so krank und landen auf der falschen Seite der M-und-M-Berichte.«
    Morbidität und Mortalität. Die rechte Spalte, die für Todesfälle bestimmt war. Die M-und-Ms fielen in Arthurs Ressort. Schon wieder der alte Mann … sollte er doch in Skandinavien bleiben und
lutefisk
und Pornographie konsumieren, und was sie dort sonst noch produzierten …
    »Was wäre«, sagte Angela gerade, »wenn es gar nichts damit zu tun hat, was
ich
ausrichten kann? Wenn es auf irgendwelche psychischen Faktoren ankommt? Oder Voodoo? Vielleicht gibt es das Pendant eines psychischen Virus, das unsere grundlegenden Überlebensinstinkte kolonisiert und uns seinem Willen untertan macht. Merilee Saunders könnte gespürt haben, dass das mit ihr geschieht. Und war aus diesem Grund nervös.« Sie lächelte. »Unheimlich. Ich leide eindeutig unter Schlafentzug.«
    Jeremy stellte sich Merilees Gesicht vor. Wütend, angespannt, weil sie …
Bescheid wusste
? »Wovon du da redest«, sagte er, »ist eine autoimmune Funktionsstörung der Seele.«
    Angela starrte ihn an.
    »Was ist los?«, fragte er.
    »Was du gerade gesagt hast – autoimmune Funktionsstörung der Seele. Wie du Dinge formulierst. Ich wünschte, du würdest mehr reden. Ich liebe es, dir zuzuhören.«
    Er sagte nichts.
    Sie drückte ihm fest die Hand. »Ich meine es ernst. Ich könnte es nie so ausdrücken.«
    »›Psychischer Virus‹ ist ziemlich gut.«
    »Nein«, sagte sie. »Worte sind nicht meine Stärke. Während der gesamten Schulzeit war ich in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern sehr gut, aber wenn ich einen kurzen Besinnungsaufsatz schreiben sollte, war ich verloren.« Ihre Augen wirkten fiebrig. Auf ihrer Oberlippe standen winzige Schweißperlen.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte er.
    »Ich bin müde, das ist alles. Ich wette, dir sind Aufsätze leicht gefallen.«
    Er lachte. »Wenn du wüsstest.«
    Er erzählte ihr von seinen Schwierigkeiten mit dem Buch.
    »Das schaffst du schon«, sagte sie. »Du warst abgelenkt.«
    »Wodurch?«
    »Das musst du mir sagen.«
    Er lachte erneut und aß den Rest des Schokoteilchens.
    »Jeremy, du beherrschst die Wörter, du wirst nicht von ihnen beherrscht.«
    »Wörter sind alles, was ich habe, Angela. Du hast die Naturwissenschaften zu deiner Unterstützung. In meinem Fall ist es das, was ich sage und wann ich es sage. Ende. Im Grunde ist es primitiv …«
    Sie legte ihm einen kühlen Finger auf die Lippen, und er roch Betadine und französische Seife.
    »Wenn wir das nächste Mal zusammen sind«, sagte sie, »möchte ich mehr über dich erfahren.«

27
    Das nächste Mal war zwei Tage später in Angelas Wohnung. Sie hatte keinen Bereitschaftsdienst und arbeitete lediglich fünfzehn Stunden am Tag. Hatte irgendwie Zeit gefunden, Rinderschmorbraten mit Bohnen und einen Salat aus jungem Gemüse zu machen. Sie aßen auf dem gebraucht gekauften Sofa und hörten Musik. Sie hatte eine Vorliebe für modernen Rock ’n’ Roll.
    Zum ersten Mal verbrachte er die Nacht bei ihr.
    Er redete. Nicht über sich, über Angela. Sagte ihr, sie sei wunderschön, ließ sie wissen, welche Gefühle sie in ihm wachrief. Sie wandte die Augen nicht von ihm ab, bis Freude sie zwang, sie zu schließen. Nachdem sie das Geschirr gespült und abgetrocknet hatten, kehrten sie zum Sofa zurück und umarmten einander. Sie verkrallte sich in ihn, legte sich um ihn wie ein Krebs, der seine Mahlzeit packt, und als es vorbei war, stolperten sie in ihr Bett und schliefen bis Tagesanbruch.
    Er fuhr sie ins Krankenhaus und begleitete sie bis zu den Aufzügen. Nachdem er am Kiosk eine Zeitung gekauft hatte, holte er sich einen Kaffee am Automaten und nahm das Coffein und die Tragödien des Tages mit in sein Büro.
    Er blätterte gedankenverloren die Seiten um, dasselbe alte Zeug. Dann verschlug ihm eine Meldung hinten im Lokalteil den Atem.
    In der letzten Nacht war eine Frau östlich von Iron Mount ermordet worden, nicht weit von der Stelle, wo Tyrene Mazursky abgeschlachtet worden war. Eine Frau ohne Namen. Ihre Leiche war im Freien liegen gelassen worden, auf einer Landzunge nördlich vom Hafen, die Saugatuck Finger genannt wurde.
    Jeremy kannte den Ort, ein bumerangförmiges Stück sandiger Kieselerde, das auf drei Seiten von Kiefern und Fichten umgeben war und auf dem hier und da ein paar wacklige Picknicktische standen. Man konnte dort nichts anderes tun, als mit den Füßen Sand aufzuwirbeln und die Zehen in leise über dem Kieselstrand ausrollendes Wasser zu

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