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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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würde doch keinen Sinn ergeben, von einer Freundin zu Frauen überzugehen, die man nicht kennt. So laufen diese Dinge doch nicht, oder?«
    Doresh nahm den Becher in die Hand, starrte hinein, nahm ihn in die andere Hand. »Wie Sie richtig sagen, Dr. Carrier, es gibt immer Spielraum für Kreativität. Wenn Sie lange genug dabeibleiben, bleibt Ihnen nichts erspart.« Mit seiner freien Hand umfasste er ein Knie und rückte auf seinem Stuhl nach vorn. »Die Frage, die Sie mir gestellt haben, von wegen der chirurgischen Präzision, wie sind Sie wirklich darauf gekommen?«
    »Wie ich Ihnen sagte …«
    »Meine Humpty-Dumpty-Bemerkung. Richtig.« Doresh lächelte. Die meisten seiner Zähne waren weiß und ebenmäßig, aber ein einzelner maisgelber Eckzahn tanzte aus der Reihe und verfing sich in seiner Oberlippe. Er zog das dunkelrote Gewebe zurück, und das Lächeln nahm einen raubtierhaften Charakter an. »Und wer trägt jetzt den Blödsinn dicker auf?«
    »Das war alles«, sagte Jeremy. »Humpty-Dumpty-Bilder. Ich wünschte, Sie hätten mir das nicht erzählt.«
    »Das hat Sie beschäftigt, nicht wahr?«
    »Ich wäre gut ohne diese Information ausgekommen.«
    »Äußerst rege Einbildungskraft, Doc?«
    Jeremy antwortete nicht.
    »Muss Ihnen eine große Hilfe sein«, sagte Doresh, »wenn Sie Ihre Patienten hypnotisieren. Meine Frau hat es ausprobiert – hat sich hypnotisieren lassen. Sie wollte abnehmen, und ihr Arzt hat sie zu einem Typ in Downtown geschickt.«
    »Hat es was genutzt?«
    »Kein bisschen«, antwortete Doresh. »Aber das ist egal, ich liebe ihre Pfunde.« Er setzte den Becher ab und benutzte beide Hände, um die Form einer großen Sanduhr nachzuziehen. »Wissen Sie, wie das ist? Eine Frau so sehr zu lieben, dass es Ihnen egal ist, wie sie aussieht oder was sie macht?«
    Jeremys Gesicht wurde erst heiß, dann kalt. Er hatte das Gefühl, als wechselte er die Farbe wie ein Chamäleon – von violett zu bleich.
Er
passte sich nicht seiner Umgebung an – im Gegenteil. Offenbarte seine Verletzlichkeit.
    Doresh musterte ihn. Gelassen.
    Jeremy atmete langsam und tief, hielt seine Wut in seinem Bauch zurück – keinesfalls würde er sich vor diesem Dreckskerl eine Blöße geben.
    »Sie sind ein Romantiker, Mr. Doresh. Kaufen Sie Ihrer Frau Blumen? Erinnern Sie sich an Ihren Hochzeitstag? Geben Sie sich gegenseitig Kosenamen?«
    Jetzt war es an dem Detective, sich zu verfärben.
    »Sonst noch was?«, fragte Jeremy.
    »In der Tat«, sagte Doresh, »habe ich über Dr. Chess nachgedacht. Er ist doch Ihr Kumpel, stimmt’s? Hat er eine Theorie hinsichtlich der Fälle?«
    Das also war es. Detective Inspector Shreve, allzeit der wissbegierige Kriminalbeamte – allzeit der misstrauische Hurensohn –, hatte das Telefongespräch mit ihm beendet und fieberhaft versucht, einen Kollegen in dieser Stadt zu finden, der einem psychopathischen Mörder auf der Spur war. Irgendetwas, das Jeremy gesagt oder versäumt hatte zu sagen, hatte den Verdacht des Engländers erregt, und er hatte beschlossen, die Angelegenheit zu überprüfen.
    Die Frage nach der chirurgischen Präzision – es musste an dieser Frage gelegen haben. Was hieß, dass er mit den Morden in England Recht gehabt hatte. Oder besser: Arthur hatte Recht gehabt.
    »Dr. Chess hat ein generelles Interesse an Kapitalverbrechen«, erklärte er. »Er ist Pathologe und hat früher am gerichtsmedizinischen Institut gearbeitet.«
    »Tatsächlich? Was glaubt er denn? Irgendwelche Einsichten?«
    »Da bin ich überfragt«, erwiderte Jeremy. »Er ist zurzeit auf Reisen.«
    »Und wo?«
    »In Norwegen.«
    »Hübsches Land«, sagte Doresh.
    Er auch?
    »Schon mal da gewesen?«, fragte Jeremy.
    Der Detective schnaubte. »Abgesehen von der Army bin ich genau einmal im Ausland gewesen. Vier Tage in Rom, und das ist Jahre her. Meine Frau isst gerne. Als wir zurückkamen, war sie ganz begeistert und wollte unbedingt italienisch kochen lernen, aber es beschränkt sich immer noch auf Schmorbraten und Makkaroni.«
    Bei Doreshs Schilderung seines häuslichen Lebens richteten sich Jeremys Nackenhaare auf. Glücklicher Mann …
    »Wo haben Sie Ihre Dienstzeit in der Army verbracht, Detective?«
    »Auf den Philippinen. Was ist mit Ihnen? Haben Sie gedient?«
    »Das wissen Sie nicht?«
    »Warum sollte ich das wissen?«
    »Ich nahm an, Sie hätten mich gründlich überprüft.«
    Doreshs Lächeln besagte, dass Jeremy sich Illusionen hinsichtlich seiner Bedeutung hingab. »Sie waren nicht bei der

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