Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
will auf keinen Fall Chirurgin werden. Aber ich will als Ärztin so gut werden wie nur möglich, und wie ich dir schon sagte, heißt das, dass ich wirklich begreifen muss, was meine Patienten durchmachen – im Innersten, das volle Programm. Es reicht mir nicht, Lungenmedikamente zu verabreichen, ohne ein Gefühl dafür zu haben, wie eine kranke Lunge aussieht und reagiert. Über ein krankes Herz reden ist eine Sache. Zu beobachten, wie es vorwärts stolpert und mühselig pumpt, eine andere.«
    Sie brach ab, wartete.
    Strahlte Wärme aus. War rot im Gesicht. Sie lief eigentlich ständig auf Hochtouren, aber dies war mehr.
    »Klingt sinnvoll«, sagte Jeremy.
    Angela nahm seine Hände in ihre und küsste ihn auf die Lippen. Als sie sich umarmten, schnitt das Stethoskop, das sie um den Hals hängen hatte, in sein Brustbein. Ein paar Vorbeigehende starrten sie an. Die meisten nicht. Jeremy versuchte sich ihrer Umklammerung zu entziehen, aber Angela hielt ihn fest – dass sie die Aufmerksamkeit anderer auf sich zogen, war ihr egal. Sie flüsterte in sein Ohr: »Du bist eifersüchtig. Du hast keinen Grund dazu, aber es gefällt mir. Es macht mich scharf – es ist herrlich, jemandem so viel zu bedeuten. Ich werde mir Zeit nehmen, verlass dich drauf. Auf die eine oder andere Art nehme ich mir die Zeit, verlass dich drauf.«
    Er hörte an diesem Tag nichts mehr von ihr und am folgenden auch nicht. Er arbeitete an der Einleitung seines Buchs, was sich als so entmutigend erwiesen hatte, und machte keine weiteren Fortschritte.
    Er durchsuchte den
Clarion
nach einem zweiten Artikel über die zuletzt ermordete Frau, ohne etwas zu finden.
    Warum sollte da auch einer sein? Sie hatte nicht mal einen Namen verdient, da wäre zusätzliche Druckerschwärze verschwendet gewesen.
    Zumindest hatte es keine weiteren Umschläge aus der Otolaryngologie gegeben. Auch keine weiteren Postkarten von Arthur. Vielleicht hatte sich erledigt, was den alten Mann geritten hatte.
    Als Angela ihn schließlich am dritten Tag anrief, war ihre Stimme heiser, geschwächt, kaum hörbar.
    »Ich bin krank«, sagte sie. »Die Grippe, kannst du dir das vorstellen? In meiner ganzen Zeit auf der Pädiatrie hab ich mir keinen einzigen Kindervirus eingefangen. Und diese süßen Kleinen waren wirklich ansteckend. Dann schicken sie mich zu den Lungenkranken, die alle Antibiotika nehmen, und ihre Zimmer sind so sauber wie nur irgend möglich, und ich handle mir diese
Seuche
ein.«
    »Du Arme. Wo steckst du?«
    »Zu Hause. Van Heusen hat mich von der Station verbannt. Hat einen gemeinen Witz darüber gemacht – Bazillenschleudern dürften nicht mit den Kranken und Schwachen verkehren. So dass ich mich fühlte wie ein Paria. Ich sollte eigentlich dankbar sein für die dienstfreie Zeit, aber ich kann sie nicht genießen. Ich bin zu krank zum Lesen, und die paar Sender, die mein kleiner Fernseher empfängt, bringen nur Müll.«
    »Seit wann liegst du flach?«
    »Seit gestern.«
    »Warum hast du mich denn nicht gestern angerufen?«
    »Ich war sogar zu kaputt zum Reden, hab den ganzen Tag geschlafen, und als ich aufwachte, fühlte ich mich noch schlapper. Ich würde dich jetzt schrecklich gern sehen, aber ich will dich auf keinen Fall hiermit anstecken – komm also
nicht
zu mir.«
    »Ich bleibe heute Nacht bei dir.«
    »Nein«, sagte sie. »Ich meine es ernst.«
    »Das glaube ich dir aufs Wort.«
    »Wirklich, Jeremy.« Dann: »Okay.«

31
    Die zweite Nacht, die er in Angelas Wohnung verbrachte.
    Sie brauchte lange, um zur Tür zu kommen. Als Jeremy sie sah, schmolz er dahin.
    Sie wirkte kleiner. Stand gebeugt da und hielt sich am Türpfosten fest.
    Er brachte sie zurück ins Bett. Ihre Haut war gerötet und trocken und glühte fiebrig – eine Ärztin, die es hätte besser wissen und genug Flüssigkeit und schmerzstillende Mittel zu sich nehmen sollen. Er gab ihr Tylenol, hielt sie in den Armen, nötigte sie, die scharf-saure Suppe zu löffeln, die er von einem chinesischen Lokal mitgebracht hatte – die Inhaberin hatte ihm versichert, dass die Gewürze »alle Keime velnichten« würden –, und verordnete außerdem Tee und Ruhe. Ihr Schlaf war leicht und unruhig, und er zog sich bis auf seine Shorts aus und legte sich neben sie in ihr klumpiges, enges Bett.
    Sie ließ ihn den größten Teil der Nacht nicht schlafen, sondern hustete, nieste und schnarchte.
    Einmal wurde sie wach und sagte: »Du wirst
krank
werden. Du musst unbedingt gehen.« Er massierte sanft ihren

Weitere Kostenlose Bücher