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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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verloren hätte.
    Kurz darauf hörten sie die Flugrufe des Schwarzspechts. «Krrü-Krrü», klang es ganz in der Nähe.
    «Er kommt!», rief Michel, der diesen Ruf, ihr Erkennungszeichen, inzwischen bald ebenso gut nachmachen konnte wie Daniel. Cerberus fing an zu wedeln, ein untrügliches Zeichen dafür, dass auch er die Schritte seines neuen Herrn gehört und erkannt hatte. Clara atmete auf, und sie traten ins Freie.
    Da tauchte Daniel auch schon hinter der Feuerstelle auf.
    «Wo warst du nur so lange?» Clara hätte ihn vor Freude am liebsten umarmt, doch war sie, genau wie der alte Geselle, streng auf Schicklichkeit und Abstand bedacht. Schließlich war Daniel ein Mannsbild, und für sein Alter kein unansehnliches.
    «Es war nicht ganz einfach, so nahe heranzukommen, dass ich etwas verstehen konnte. Wegelagerer sind es jedenfalls nicht, sondern Freiburger wie wir.»
    Dann berichtete er, dass es acht Männer und fünf Frauen waren, die der Neuburgvorstadt entflohen waren, der ärmlichsten und schmutzigsten der drei Vorstädte. Und dass sie wohl vorhatten, bei der Waldkapelle auszuharren, bis die Seuche vorüber war.
    «Ich denk, heut Nacht können wir ruhig schlafen. Sie sind allesamt ordentlich am Saufen – und bei anderen Vergnügungen», fügte er mit einem Grinsen hinzu.
    In Claras erste Erleichterung mischte sich Wut. Nun würde dieser heilige Ort entweiht werden, und zum Beten würden sie auch nicht mehr hinaufkönnen.
    «Was sind das nur für Zeiten?», stieß sie hervor. Und sehnte sich zugleich so sehr nach Heinrich, dass es schmerzte.
    Die nächsten Tage blieb alles ruhig, und Claras Anspannung wich. Dafür hing sie umso mehr ihren Gedanken nach. Sie hatte die Tage, die sie von ihrem geliebten Mann getrennt war,nicht gezählt, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Wann würde sie wieder an seiner Seite, in seinen Armen einschlafen dürfen? Seinem leisen, zufriedenen Schnarchen lauschen, wenn sie nachts einmal wach wurde? Des Morgens von seinem Kuss auf die Wange geweckt werden?
    Auch Benedikt war, entgegen seinem Versprechen, nicht wieder auf Besuch gekommen. Zu groß war wohl seine Angst, er könne die Pestilenz zu ihnen herausbringen. Zweimal bislang war Daniel hinunter an den Mühlbach gewandert, um dort, auf halbem Wege, von Benedikt neue Vorräte in Empfang zu nehmen und die wichtigsten Nachrichten auszutauschen – in sicherer Entfernung von drei Schritt Abstand!
    Jetzt ging also auch Benedikt in den Häusern der Pestkranken aus und ein. Über diese Nachricht war Clara mehr als bestürzt gewesen. Auch wenn sie von Daniel wusste, dass dies Benedikts eigener, erklärter Wille gewesen sei, machte sie Heinrich insgeheim heftige Vorwürfe. Ihr Mann war Wundarzt. Den Kranken zu helfen, sie zu heilen war seine angestammte Aufgabe in diesem Leben. Doch wie konnte er zulassen, dass ihr eigener Sohn sich nun ebenfalls dieser tödlichen Gefahr aussetzte? Was für ein hoher Preis dafür, dass Vater und Sohn nun endlich zueinandergefunden hatten.
    Ihr letztes Gespräch mit Benedikt, bei seinem Abschied von der Waldhütte, hatte sie sehr aufgewühlt. Noch lange waren ihr seine Worte im Ohr geklungen: «Esther und ich wären nie zusammengekommen, das weiß ich jetzt. Aber es tut so weh, wenn man jemanden liebt und nicht lieben darf.»
    In ihrem Versuch, ihn zu trösten, hatte sie nicht noch Öl ins Feuer gießen wollen. Hatte daher lieber unausgesprochen gelassen, wovon sie inzwischen überzeugt war. Es gab die tiefe, dauerhafte Liebe zwischen Mann und Frau. Und sie warGott unendlich dankbar dafür, dass er ihr mit Heinrich als Ehegefährten diese Erfahrung geschenkt hatte. Auch wenn die meisten Eheleute nicht in Liebe, sondern bestenfalls in Vernunft und Freundschaft miteinander lebten, ohne dass dies das Schlechteste sein musste, so gab es auch das andere. Und war die Liebe nur stark genug, so fand man auch zueinander. Auch Benedikt und Esther hätten einen Weg gefunden, ihre Liebe zu leben – an einem anderen Ort, in einem anderen Land. Wenn sie, die eigene Mutter, ihnen nicht alles vereitelt und durchkreuzt hätte.
    Wie gerne hätte Clara über all das mit jemandem gesprochen. Sie war kein Mensch, der die Dinge in sich hineinfraß, aber vor den Kindern konnte sie unmöglich darüber reden. Mehr und mehr sehnte sie sich in diesen Tagen nach einer Gefährtin und dachte dabei immer häufiger an Mechthild, die Freundin aus alten Zeiten. Erst recht, nachdem sie erfahren hatte, dass auch Mechthilds Mann an der

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