Der Pestengel von Freiburg
zu ihm gehörte, sah noch Claras erstaunten Blick und plötzlich sich selbst, seinen bleichen, halbnackten, schweißgebadeten Leib – dann war es vorbei.
Clara befreite sich von ihrer Last und holte tief Luft. Sie zitterte, als sie sich neben ihren Angreifer kniete und einen Finger an dessen Hals legte, um dann seinen Puls am Handgelenk zu fühlen. Es gab keinen Zweifel: Filibertus Behaimer war tot, das rote Gesicht mit den aufgerissenen Augen, dem weitgeöffneten Mund nur noch eine Maske.
Sie hörte sich selbst einen spitzen Schrei ausstoßen. Was hatte sie getan? Sie erinnerte sich an diesen Schwall von Ekel und Hass, der über sie gekommen war, nachdem Behaimer sie zu Boden gebracht und mit Gewalt hatte nehmen wollen. Im ersten Moment war sie von seinem Angriff vollkommen übertölpelt gewesen, dann aber hatte dieses Gefühl von Abscheu ihr die Kraft verliehen, sich von seinem Gewicht zu befreien und ihm die Luft abzudrücken.
Erschrocken starrte sie erst ihre Hände an, die diese Tat begangen hatten, dann die hellen Abdrücke an Behaimers Kehle. So fest hatte sie doch gar nicht zugedrückt. Dazu nicht einmal ein Vaterunser lang.
«Gütiger Himmel – Mutter! Was ist hier geschehen?»
Clara blickte auf. Im Türrahmen der Stube stand Benedikt.
«Er ist tot», flüsterte sie. Noch immer kauerte sie neben dem Leichnam. Sie wollte sich erheben, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Benedikt half ihr auf die Beine, und sie schwankte gegen seine Brust.
«Er ist tot, und ich hab ihn erwürgt.»
Benedikts Gesicht wurde erst bleich, dann lief es rot an.
«Hat er – hat er dir Gewalt angetan?»
Clara schüttelte langsam den Kopf. Da erst nahm sie wahr, in welch unziemlichen Zustand Behaimer da auf dem Dielenboden lag. Sein Rock war halb aufgerissen, die Beinkleider nach unten verrutscht, sodass ein weißlicher Streifen Haut von der Hüfte bis zu seinem geschrumpften Geschlecht zu sehen war. Abrupt wandte sie sich ab, trat ans Fenster und öffnete einen Flügel. Die frische Luft roch zum ersten Mal nach Herbst.
«Es kam nicht mehr dazu», sagte sie, «aber er hatte es vor. Was machen wir jetzt bloß?»
Benedikt griff über ihre Schulter hinweg durch das offene Fenster und zog die Läden zu.
«Erst mal braucht niemand zu wissen, was hier vorgefallen ist.» Sein Tonfall war hart. «Der Kerl ist in deinem Hause gestorben, weil er alt, krank und viel zu fett war. So werden wir es den Grafen und dem Bürgermeister vermelden.»
Erst jetzt wagte Clara es, sich wieder umzudrehen. In dem spärlichen Licht, das durch die Ritzen der Fensterläden drang, war der Anblick erträglicher. Sie beobachtete, wie sich Benediktherunterbeugte und dem Toten Mund und Augen schloss. Dann wälzte er ihn auf den Rücken, brachte seine Kleidung wieder in Ordnung und legte ihm die Hände über der Brust ineinander.
«Weißt du was? Einen solch gelinden Tod hat das Schwein gar nicht verdient. Gerädert und gevierteilt hätte er gehört, nach allem, was er verbrochen hat. Ich hoffe nur, dass ihn im Tod der Höllenfürst persönlich abgeholt hat.»
«Benedikt!»
«Hast du etwa noch Mitleid mit ihm?»
«Begreifst du denn nicht?» Ihre Stimme wurde schrill. «Ich habe ihn gemordet, mit eigenen Händen!»
«Mutter, er hat dich bedroht! Er wollte dir Gewalt antun. Du hattest gar keine Wahl!» Er sah ihr fest in die Augen.
Doch Clara ließ sich nicht beirren, beugte sich über die geöffnete Truhe und wühlte darin herum.
«Was tust du?», fragte Benedikt.
«Ich suche eine Kerze. Wir müssen für ihn beten. Er ist ohne Beichte und Absolution verstorben.»
«Dann tu das, aber ohne mich.» Seine Stimme klang nun böse. «Ich geh derweil auf die Burg und geb Bescheid, dass man ihn holen kommt. Und unser guter Pfarrer Cunrat soll sehen, was er noch für Behaimers Seelenheil ausrichten kann. Soll er sich halt anstrengen.»
Mit großem Gefolge, unter Totengeläut und lautem Klagegeschrei hatte Pfarrer Cunrat den Leichnam am frühen Abend abgeholt und zur Aufbahrung in die Burgkapelle gebracht, wo er auch bestattet werden sollte. Weder der Pfarrer noch der alte Graf hatten im Übrigen an Benedikts Darstellung von Behaimers Todesstunde gezweifelt.
Der Stadtarzt habe seine Mutter aufgesucht wegen einer medizinischen Schrift, ganz kurzatmig sei er da bereits gewesen, kaum habe er die Stube betreten. Er selbst, Benedikt Grathwohl, sei Zeuge hiervon gewesen. Dann habe sich der Mann unter Stöhnen an die Brust gegriffen und sei zu
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