Der Pestengel von Freiburg
sind gleich fertig.»
Dann wandte er sich Clara zu. «Was redest du da? Mir hat er erzählt, er wäre die Stufen zum Stadtgraben hinuntergestürzt.»
«Ha! Da hab ich aber ganz andre Sachen gehört. Die halbe Stadt spricht schon davon, dass du gegen den Meinwart gegangen bist, weil der sich mit Esther getroffen hat.»
«Ist das wahr?», fragte sein Vater scharf.
«Das Schwein hat sie mit Gewalt hinter einen Busch gezerrt.» Mit den geschwollenen Lippen fiel Benedikt das Sprechen schwer. Er sah Meinwart vor sich, wie er versucht hatte, Esther zu küssen, und die ganze Wut stieg erneut in ihm auf. «Sie konnte sich gar nicht wehren. Sie war allein mit Jossele und Eli.»
«Und da musstest du den kühnen Ritter spielen, anstatt Hilfe zu holen!» Clara schüttelte den Kopf. «An einem solchen Tag wimmelt es doch im Stadtgraben von Menschen.»
«Da war niemand, der uns geholfen hätte. Frag doch Aaron.»
«Aaron, Esther … Bist du jetzt nur noch mit Hebräern zusammen?»
«Clara, bitte!» Sein Vater richtete sich auf und legte Lappen und Kräutertinktur beiseite. «Es ist eine heilige Christenpflicht, dem Bedrängten zu helfen.»
Erstaunt sah Benedikt ihn an. Die Strenge im Gesicht seines Vaters war wieder der Besorgnis von zuvor gewichen.
«Und außerdem – ein rechter Kerl schlägt sich auch mal für ein Mädchen. Hast du vergessen, liebe Frau, wie ich mich mal um dich geschlagen hab? Danach konnte ich drei Tage nicht mehr aufrecht sitzen.»
Benedikt merkte, wie seine Mutter vergeblich gegen ein kleines Lächeln ankämpfte. «Na ja, damals warst du halt noch sehr jung.»
«Du auch, meine Liebe. Und wunderschön dazu. Ich hätte alles getan, um deine Gunst zu erlangen.»
Eine leichte Röte überzog ihre Wangen. Plötzlich sah Benedikt die beiden mit ganz anderen Augen: jung, verliebt und fröhlich. Er erkannte, wie hübsch seine Mutter einst gewesen sein musste, von feingliedriger Gestalt, mit zarter, glatter Haut und perlweißen Zähnen, der Vater ein schlanker, aufrechter junger Mann mit strohblondem Haar. Er sah sie vor sich, wie sie lachten und scherzten, sich umarmten und leidenschaftlich küssten.
«Jetzt red nicht so daher», schnaubte seine Mutter. «Wir beide waren einander versprochen, und Esther ist unser jüdisches Nachbarmädchen. Das hat rein gar nichts miteinander gemein.»
Kapitel 5
N ach Claras Ansicht war es höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Spätestens mit dieser Prügelei vor einigen Wochen waren ihr endgültig die Augen aufgegangen. Ihr Sohn liebte Esther. Wie hatte sie das nur so lange verkennen können? Schon damals, als der Totengräber ihr hinterbracht hatte, was an der dunklen Friedhofsmauer geschehen war, hätte sie Heinrich davon erzählen und Benedikt zur Rede stellen sollen. Noch besser: Sie hätte gleich ein ernstes Wort mit den Grünbaums reden müssen. Stattdessen hatte sie das Ganze als Kinderei abgetan und darauf gebaut, dass Benedikt erwachsen und vernünftig würde.
Mit einem unterdrückten Ächzen streckte sie den Rücken. Ein Trauerspiel, was sie da vor sich in den Beeten sah! Die frische Saat verkümmerte zusehends, weil durch die plötzliche Hitze in diesem Ostermonat inzwischen sogar der Morgentau ausblieb. Was nützte es da, wenn sie jeden Tag in aller Frühe die Beete mit Wasser besprengte, ganz vorsichtig, damit der Schwall die keimenden Saaten nicht wegschwemmte? Am Abend lag alles wieder schlaff auf der Erde, die hart wie Holz wurde.
«Bist du bereit?» Heinrich steckte den Kopf zum offenen Küchenfenster heraus. Das erwartungsfrohe Strahlen auf seinem Gesicht machte ihn um Jahre jünger.
«Ja, ich komme gleich.»
Sie verteilte das restliche Wasser aus dem Ledereimer, umihn dann im Schuppen zu verstauen. Nein, ich werde diesen Tag genießen, sagte sie sich. Die ganze Woche über hatte sie sich schon auf den Frühjahrsmarkt gefreut.
Seit zwei Tagen strömten die Fernhändler mit ihren Lasttieren und Wagen in die Stadt, um sich auf die Verkaufsstände zu verteilen, bis hinüber in Richtung Kirche, wo in jüngster Zeit einige überdachte Lauben an der Friedhofsmauer errichtet worden waren. Vierzehn Tage lang würden sie Spezereien und Farbpulver, Eisen-, Messing- und Kupferwaren, Seide aus Genf, flämische und englische Tuche, kostbare Felle feilbieten. Neben den Waren aus fremden Ländern brachten die Mercatores und ihre Ausrufer zudem etwas mit, was bei den hiesigen Bürgern mindestens ebenso begehrt war, nämlich neuartige Moden und vor allem
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