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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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er sich neben sie ins Gras und verbarg seine Hände, denn sie begannen zu zittern.
    «Es ist schön, dich zu sehen», sagte er. Seine Stimme war rau.
    «Dann hast du mein Brieflein gefunden?»
    Er nickte. Die Menschen, die auf dem sandigen Uferweg in Gruppen herumstanden und schwatzten oder sich zum Würfeln und Kartenspiel auf der Wiese niedergelassen hatten, schienen plötzlich weit weg. Der Schatten des Baumes mit seinem dichten Blätterdach schirmte sie ab von der restlichen Welt. Allmählich wurde Benedikt ruhiger.
    «Heute hab ich mir deine Figur in der Kirchenvorhalle angesehen», sagte Esther nach einiger Zeit des Schweigens. «Du hast ihr Gesicht verändert. Es sieht jetzt wehmütig aus, nicht mehr so – so hart.»
    «Kanntest du die Figur denn vorher?»
    «Ich kenne sie alle. Schon als Kind war ich oft in der Portalhalle. Am grausigsten fand ich immer den Verräter Judas, der am Strick baumelt. Seine Gedärme quellen aus dem aufgeschlitzten Bauch, und seine Seele wird von zwei grinsenden Teufelchen aufgespießt.» Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. «Mein Vater sagt, dass die ganze christliche Heils- und Weltgeschichte dort abgebildet ist.»
    «Da hat er recht.»
    Er warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu. Es drängte ihn,zu erfahren, was sie fühlte, wenn sie an das Eheversprechen mit Uri ben Salomon dachte. Ob sie sich damit abgefunden hatte. Und ob sie sich jemals wiedersehen würden, wenn sie denn erst einmal in Straßburg lebte. Stattdessen unterhielten sie sich nun über den Figurenschmuck seiner Pfarrkirche.
    «Er hat sie mir alle erklärt», fuhr Esther fort. «Er hat mir auch gezeigt, dass unter den Peinigern des Jesus von Nazareth und bei seiner Gefangennahme Juden dargestellt sind.»
    Benedikt schluckte. Worauf wollte sie hinaus?
    Um ihre Mundwinkel zuckte es. «Wie könnt ihr uns Christusmörder nennen, wenn wir doch Jesus als einen der Unseren sehen? Er war Jude, war Lehrer und Rabbiner! Für euch ist er Christus, der Gottessohn, für uns nicht, denn wir warten noch auf den Messias. Das allein macht den Unterschied.»
    Er wollte etwas erwidern, sich rechtfertigen, aber ihm fielen nicht die passenden Worte ein. Die Kirche hatte ihn gelehrt, dass die Juden durch ihre Leugnung von Jesus Christus als Messias, durch ihre Schuld an dessen Tod zum verworfenen Volk geworden waren. Dass die Söhne der Juden hinfort die Schuld ihrer Väter bis in alle Zeiten büßen mussten. Und dass ihre Demütigungen und ihre Zerstreutheit in alle Welt die sichtbare Strafe waren für den Irrtum ihrer Religion und für ihre Weigerung, sich bekehren zu lassen.
    Aber er hatte auch die Worte seines Vaters im Ohr: «Dürfen wir diese Menschen verteufeln, nur weil sie an ihrem Glauben festhalten wie wir an unserem? Da für sie der Messias noch nicht erschienen ist, muss in ihren Augen unsere Lehre von der Dreifaltigkeit und dem gekreuzigten Gottessohn doch wahrer Götzendienst sein!» Bei diesen Worten war sogar seine Mutter nachdenklich geworden, die, seitdem er denken konnte, mit Esthers Mutter im Zwist lag.
    «Ich würde euch niemals Christusmörder nennen», sagte er jetzt lahm.
    «Ich weiß. Unser Rebbe sagt immer, wir Juden seien eure älteren Brüder. Unser beider Glauben hat ein und dieselbe Wurzel, und alles, was in den Evangelien geschrieben steht, erzählt von Juden und handelt von Juden. Sogar von unseren Bräuchen und Vorschriften habt ihr etliches übernommen. Unser rituelles Tauchbad wurde bei euch Christen zur Taufe. Auch euer Chrisam zur Salbung oder das Weihwasser zur Segnung entstammt unseren Riten.»
    Benedikt unterbrach ihre Rede, indem er ihre Hand nahm.
    «Bitte, Esther, lass uns nicht streiten.» Dann musste er lachen. «Es ist grad wie früher. Bloß haben wir uns da gestritten, ob die Farbe eures Ziegeldachs eher rot oder braun ist. – Sind eigentlich alle jüdischen Mädchen so klug? Bei uns machen sie sich Gedanken um Haus und Kind, gehen vielleicht dem Mann bei der Arbeit zur Hand – mehr soll es nicht sein.»
    Auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln, aber es war eine Spur von Spott darin. «Auch bei uns führt die Frau das Haus. Aber warum soll sie deshalb dem Mann nicht eine kluge Frau sein? Eine, die lesen und schreiben kann und die heiligen Schriften und Gesetze kennt und versteht? Weißt du, eigentlich regieren bei uns die Frauen, nur lassen wir es die Männer nicht merken.» Sie wurde ernst. «Der Ewige will Mann und Frau als Gefährten. Und die Männer schätzen ihre Frauen.

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