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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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umsonst waren die Hebräer seit Jahrhunderten begehrte Leibärzte an den Fürstenhöfen, denn sie beherrschten die Ausübung der inneren wie der äußeren Medizin.
    Doch hatte er sich andrerseits nicht schon oft genug geärgert über ihren stillen Hochmut? Was sonst war ihr geheimnisvolles Getue, ihr hartnäckiges Beharren darauf, anders zusein? Nein, ein kleiner Dämpfer würde diesen Leuten nicht schaden.
    Behaimer ergriff das Handgelenk des Grafen und zwang sich, sein Augenmerk auf Kraft und Qualität des Pulsschlags zu konzentrieren. «Regelmäßig, aber zu weich», murmelte er nach einiger Zeit. Dann trug er die Zahlen auf seiner Liste ein und setzte seine Kreuze unter die verschiedenen Pulsqualitäten, die der große Galenus unterschied.
    «Wenn Ihr jetzt vielleicht Euren Diener rufen und die Matula holen lasst, lieber Graf? Noch die Urinschau, dann wäre ich meinerseits für heute fertig.»
    «Nein, warte noch. Was – was hältst du von all diesen Berichten zu den gefährlichen Sterbensläufen im Süden? Ich meine gehört zu haben, dass die Seuche schon das ganze obere Italien erfasst haben soll und sich auf der anderen Seite, im Frankreichischen, bis nach Paris gewälzt hat. Unsere deutschen Lande hier sind damit gewissermaßen in die Zange genommen.»
    Behaimer trat ans Fenster und sah hinaus. Unter einem bläulich dunstigen Himmel drängten sich die Häuser um den großartigen Kirchenbau, zu dem auch er sein Scherflein beigetragen hatte. Zur Linken schoben sich die Ausläufer des Waldgebirges heran, hinter der Stadt wand sich das glitzernde Band der Dreisam dem Rheintal entgegen. Es war eine schöne Stadt, dieses Freiburg, ein behaglicher Ort zum Leben, und er hatte nie bereut, von Köln hierhergekommen zu sein. Er wandte sich wieder dem alten Grafen zu.
    «Als Astrologus studiere ich natürlich gewissenhaft die Gestirne und möchte mich der Meinung des berühmten umbrischen Arztes Gentile anschließen. Durch eine äußerst schlechte Konstellation von Mars, Jupiter und Saturn, den drei oberen Planeten, sind vor einigen Jahren verseuchte Ausdünstungenvon Meer und Land in die Luft gesogen, erhitzt und hernach als verdorbene Winde zurück auf die Erde geschleudert worden. Diese Konstellation, als eindeutiges Zeichen höchster Gefahr, als Warnung», sein Schädel begann hin und her zu pendeln, «war dazumal leider von den wenigsten erkannt worden. Denn – und nun spreche ich als Physicus – wird ein solcher Pesthauch erst einmal vom Menschen eingeatmet, dann sammeln sich giftige Dämpfe um Herz und Lunge und verdichten sich dort zu einer Giftmasse, die diese Organe angreift. Zugleich kann durch ausgeatmete Luft der Nächste angesteckt werden. Gerade so, wie ein fauliger Apfel den andern Apfel faulig werden lässt. Könnt Ihr mir so weit folgen?»
    Der Alte hatte ihm mit offenem Mund zugehört, und Behaimer glaubte ihm nicht ganz, als er jetzt nickte.
    «Dann bedeutet das also, dass alle Menschen, die von diesen giftigen Dämpfen überrollt werden, dem sicheren Tod ausgeliefert sind?»
    «Nicht ganz, lieber Graf, nicht ganz. Ihr müsst das so sehen: Der menschliche Körper selbst ist ja ein Mikrokosmos. Und wie ich Euch schon häufiger erläutert habe, hängt die Interaktion der Leibessäfte unmittelbar von astrologischen Einflüssen ab. Ist nun die eigene Umgebung von einem solchen Pesthauch betroffen, muss unverzüglich die Konstellation der Gestirne erfragt und die entsprechende Gegenmaßnahme für den menschlichen Körper eingeleitet werden. In jedem Fall gilt es, beim noch Gesunden Herz und Hauptorgane zu stärken sowie die giftige Fäulnis in der nächsten Umgebung des Erkrankten zu bekämpfen, da sonst eine Ansteckung unausweichlich ist.»
    Nachdenklich kaute der Graf an seinen Fingernägeln. «Dieser – dieser Pesthauch, der im Westen und Süden tobt – wird ereines Tages unsere Gebiete erreichen? Auch für diesmal, mein liebes Doctorlein, erwarte ich wieder eine ganz und gar ehrliche Antwort.»
    Behaimer zögerte einen Atemzug lang. Dann erwiderte er ruhig: «Ich denke nicht. Die giftigen Dämpfe befinden sich dem Boden nah, soweit man weiß. Da wäre das Alpengebirge ein unüberwindliches Hindernis. Und unser Rhein im Westen, als einer der mächtigsten Ströme der Welt, stellt gewiss auch eine sichere Grenze dar. Wir sollten also Ruhe bewahren.»
     
    Der Sommer kam übers Land, mit verregneten Tagen und viel zu kühlen Nächten. Wie eh und je versorgte Clara mit Johannas Hilfe Haushalt,

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