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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Entrinnen. Man schob und drückte sie, so dicht bei den schmutzigen Männern stolperte sie voran, dass sie bei einem das geschlitzte Ohrläppchen, bei einem anderen ein Stadtwappen erkennen konnte, das ihm auf die Stirn gebrannt war. Ganz deutlich stieg ihr jetzt der Gestank von Schweiß, Urin und geronnenem Blut in die Nase.
    Clara wusste, dass inzwischen allerorten im Lande solcherart Bruderschaften von Stadt zu Stadt zogen. Wer sich ihnen anschließen wollte, musste sich auf dreiunddreißig und einen halben Tag, der Anzahl der Lebensjahre Jesu Christi, zu Buße, Keuschheit und bedingungslosem Gehorsam gegen die Meister verpflichten. Bei vielen Menschen galten die Geißlerbrüder als Vorboten des Todes. Denn sie suchten Orte auf, die noch frei von der tödlichen Seuche waren, um dort mit dem Volk zu beten. Sie beteten und flehten, vor dem Tod verschont zu werden, um Aufschub vor dem Weltende.
    Auf dem Kirchhof machten die Bußleute halt, stellten sich im Kreis auf und entledigten sich ihrer Lumpen bis auf Gugel, Hut und einen schmutzigen Hüftrock. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als ihre blutverkrustete, verschwollene Haut auf Brust und Rücken frei wurde und rot und blau im Sonnenlicht schillerte.
    Glockenläuten setzte ein. Nacheinander warfen sich die Geißler in einem großen Kreis zu Boden, die Arme kreuzweiseausgebreitet. Sie riefen nach Gott, flehten um Vergebung ihrer Sünden, die sie durch eindeutige Gesten öffentlich machten – der Ehebrecher wälzte sich auf obszöne Weise im Staub, der Fastenbrecher hielt sich den Bauch, und der Meineidige lag auf der Seite und reckte die Schwurfinger in die Luft.
    Während sich nun die Letzten zu Boden warfen, sprangen die Ersten schon wieder auf, stellten sich in die Mitte ihrer Bußgenossen und griffen nach ihren Geißeln, kurze Stöcke mit drei Riemen, deren Knoten mit Eisenstacheln gespickt waren.
    «Trete her, wer büßen will», schrie ihr Meister den Umstehenden zu. «So entkommen wir der heißen Hölle. Lucifer ist ein böser Geselle. Wen er greifen kann, den stürzt er ins Elend.»
    Erneut hoben die Vorsänger mit ihrem seltsam eintönigen Gesang an. Bei jeder Silbe peitschten sich die Männer die eisernen Stacheln gegen die nackte Haut. «Für Gott vergießen wir unser Blut, das ist für unsere Sünden gut.»
    Bald schon platzten alte Wunden auf, rann das Blut in Strömen, spritzte hier und da zu Boden oder an die nahe Kirchenwand. Oft stak das Eisen so tief im Fleisch, dass man es kaum mehr herausbekam. Nicht wenige der Zuschauer weinten jetzt und fielen in die Gebete ein:
    «Jesus Christus ward gefangen
    und an ein Kreuz gehangen,
    das Kreuz, das war vom Blute rot,
    wir beklagen seine Marter und seinen Tod.»
    Schließlich setzte sich der Zug wieder in Bewegung, zu einer gespenstischen Prozession rund um die Kirche. Clara vermochte sich dem blutigen Schauspiel nicht zu entziehen. Wieder undwieder, zum Rhythmus des aufrüttelnden Singsangs, hieben sich die Geißelbrüder ihre Stacheln ins Fleisch oder rissen die Arme gen Himmel. Auf ihren Gesichtern lag eine Mischung aus rauschhafter Verzückung und Schmerz.
    Vor dem Hauptportal streckten sich alle auf ein Zeichen nieder, blutüberströmt und mit dem Gesicht zum Boden, schluchzten und jammerten. In ihre Mitte trat der Meister, ein Bär von einem Mann, und bat um Stille. Begann in seinem dröhnenden Bass einen langen Brief zu verlesen, den ein Engel vom Himmel gebracht habe und der die Menschen zur Umkehr mahne. Denn jüngst seien all jene Vorzeichen eingetreten, die auf das Weltenende deuteten: Erdbeben und Krieg, Hunger und Durst, Dürre und Überschwemmung, Reif und Frost, Blitz und Hagel, Plagen durch Käfer und Raupen, Mäuse und Heuschrecken.
    Aufmerksam lauschten die Menschen seiner Predigt, die auch nicht jene höllischen Leute zu erwähnen vergaß, die die Seuche übers Land gebracht hätten. «So folget denn dem Himmelsbrief, ergebet euch der Buße und dem Fasten, betet für die Sünder und Seelen im Fegefeuer!»
    Unter den Zuhörern fand Clara etliche bekannte Gesichter. So Meinwart und dessen Mutter Mechthild, die beide gleichermaßen gebannt das Geschehen verfolgten, und Filibertus Behaimer, der sich mit spöttischem Lächeln seinen Weg durch die Menge bahnte. Das Lächeln verschwand, als er neben dem jungen Tucher zum Stehen kam. Die beiden schienen in Streit zu geraten, denn der fast kahle Schädel des Stadtphysicus lief puterrot an.
    Woher kannten sich die beiden plötzlich so gut,

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