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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Tränen strömten ihm über die Wangen, und seine Brust bebte, während Daniel ihm beruhigend übers Haar strich.
    «Lass den Schmerz heraus, Junge. Er frisst sonst die Seele auf.»
    Es brauchte lange Zeit, bis Benedikt wieder ruhig atmen konnte. Als er aufsah, bemerkte er die neugierigen Blicke, die die beiden Mörtelmischer von gegenüber ihnen zuwarfen.
    «Manchmal denke ich», Benedikt wischte sich über das Gesicht, «dass ich mit ihr gestorben bin. Dass ich ein Toter unter lauter Lebenden bin. Dabei hätte ich sie retten können. Aber meine eigene Mutter hat es verhindert. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Nicht die andern, nicht die Freiburger Bürger sind schuld, dass Esther tot ist, sondern meine eigene Mutter.»
    «So darfst du nicht denken. Deine Mutter ist ein guter Mensch. Nur wenige wären so kühn gewesen, die Grünbaumknaben aufzunehmen. Was immer sie getan hat – versuche ihr zu verzeihen.»
    «Niemals!»
    Wieder stiegen ihm die Tränen in die Augen, diesmal vor Zorn.
    «Esther zuliebe», fuhr er fort, «hätte ich sogar meinen Glauben aufgegeben. Kannst du das verstehen?»
    «Aber ja.» Daniel strich sich durch den Bart. «Auch ich hatte einmal mein Herz an ein jüdisches Mädchen verloren. Als ich noch jung war und drüben im Elsass gelebt hatte.»
    «Und – was ist daraus geworden?» Es tat gut, wieder zu reden.
    «Ich hatte nicht so viel Mut wie du. Hatte stattdessen mein Bündel gepackt und war hierher nach Freiburg gekommen. Aber vergessen konnt ich sie nie.»
    «Hast du deshalb nie geheiratet?»
    «Vielleicht.»
    «Und warum bist du nie Meister geworden?»
    «Ach, Junge, du weißt doch selbst, was da alles dazugehört.Ich bin nicht begabt in solcherlei Dingen wie Arithmetik oder Baukunst. Aber du, du wirst dereinst ein guter Baumeister sein! Wenn das alles hier vorbei ist.»
    «Was meintest du eben damit, als du von den Todesfällen in Bern und Genf gesprochen hast?» Benedikt senkte die Stimme. «Willst du damit sagen, dass das die Pestilenz ist? Davon hätten wir hier in Freiburg doch längst gehört.»
    Daniel lachte bitter auf. «Die Herren Stadträte werden sich hüten, etwas laut werden zu lassen. Jetzt gilt es, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Bürger nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Von schweren Fällen der Schwindsucht ist noch die Rede, aber bald schon wird sich diese Lüge nicht mehr halten können. Nicht mehr lange, Benedikt, dann werden auch bei uns die Ersten dahingerafft werden. Ich weiß das.»
    «Ich weiß es auch», stieß Benedikt hervor und dachte an seinen Traum vor langer Zeit. Deutlich sah er wieder die weißgewandete Jungfrau vor sich, die ihre tödlichen Pfeile schleuderte. Gleichwohl verspürte er keine Angst, vielmehr eine Art Genugtuung. Nun würden sie alle für diesen ungeheuren Frevel an den Juden bezahlen müssen. Und für sich selbst wünschte er sich nichts weiter, als dass es ihn als einen der Ersten treffen würde.

Kapitel 17
    Z wei Tage nach Christi Himmelfahrt erschienen die Bußleute in der Stadt. Schon von weitem hallten ihre endlosen Litaneien von den Häuserwänden wider.
    «Nun hebet eure Hände,
    dass Gott dies große Sterben wende!
    Nun hebet eure Arme,
    dass Gott sich über uns erbarme!
    Jesus, durch deine Namen drei
    mach, Herre, uns von Sünden frei!
    Jesus, durch deine Wunden rot
    behüt uns vor dem jähen Tod!»
    So hörte Clara sie singen. Sie hatte an diesem Morgen eine Gerberfrau aus der Schneckenvorstadt zur Ader gelassen und war gerade auf dem Heimweg, als sie der seltsamen Prozession kurz vor dem Untertor begegnete.
    Hin und her gerissen zwischen Neugier und Widerwillen folgte Clara dem Zug von gut drei Dutzend Männern, in deren Mienen sich eine entrückte Demut spiegelte, als seien sie nicht von dieser Welt. Unrasiert und ungewaschen waren sie, barfuß, in grobes Sackleinen gehüllt. Allesamt trugen sie spitze, schwarze Hüte über ihren löchrigen Gugelkapuzen, die genau wie ihre Kleidung vor Dreck starrten. In Zweierreihen und schleppenden Schrittes zogen sie nun durch das weitgeöffneteStadttor, die Vordersten trugen hohe Kerzen, Kruzifix und eine Fahne vor sich her und sangen lauthals.
    Immer mehr Menschen, anfangs vor allem Frauen und Kinder, dann auch Männer, die ihr Handwerk oder ihren Handel unterbrachen, folgten den Geißlern durch die Große Gass, bis sich Clara mittendrin in dem Gedränge fand. Als der Zug in Richtung Kirche abbog, wollte sie eigentlich nur noch nach Hause, doch es gab kein

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