Der Pestengel von Freiburg
dunkel wie eine Gewitterwolke, dann hätte es der Mensch so viel leichter, seinen Hals zu retten.
Vielleicht, dachte er, als er sich durch die Mittagshitze auf den Heimweg machte, sollte ich nun doch das Angebot des alten Grafen annehmen und eine Kemenate oben auf der Burg beziehen. Zu viele Tote hatte es hier unten bereits gegeben, deren verfaulte Ausdünstungen den tödlichen Hauchin den engen Gassen nur noch mehr mit giftigen Stoffen anreicherte.
Benedikt blickte dem Altgesellen hinterher, der zum Hüttenschmied schlurfte, um sich neues Werkzeug abzuholen. Wie alle Steinmetze war auch Daniel von kräftiger, muskulöser Statur, doch in letzter Zeit wurde sein Rücken immer krummer.
Er wandte sich wieder seinem Stein zu. Nach der ersten Aufregung ging hier auf dem Werkplatz wie überall sonst das Leben wieder seinen gewohnten Gang, doch geblieben war ein gewisses Misstrauen. Die Menschen, hatte Benedikt den Eindruck, hielten mehr Abstand zueinander, bei der Arbeit wurde weniger gesungen und gelacht, immer wieder gingen die Blicke zum Himmel, als könne man dort entdecken, wie es um die Stadt stand.
Dabei schien die Seuche fürs Erste, ganz gemäß den Verharmlosungen der Ratsherren, tatsächlich an Freiburg vorübergezogen zu sein. Bis zum Ende des Heumonats war kein neuer Todesfall verzeichnet worden, und Benedikt, der nicht wusste, ob er sich mehr um seinen Vater in den Krankenstuben oder um den Rest der Familie oben im Wald sorgen sollte, hatte schon aufgeatmet. Wenn bis morgen, zum heiligen Sonntag, kein Todesfall hinzukommen würde, so hatte sein Vater ihm beschieden, dann wolle man die anderen wieder in die Stadt zurückholen.
«Freust du dich?»
Daniel trat neben ihn. In den schwieligen Händen hielt er einen blitzblanken Satz neuer Eisen.
Im ersten Moment wusste Benedikt nicht, wovon der Geselle sprach. Dann fiel es ihm ein: Nächste Woche sollte die Kreuzblume als Schlussstein auf den zweiten Chorturm aufgesetztwerden, mit einer großen Festveranstaltung für die ganze Stadt.
«Gewiss freue ich mich.»
«Das wird eine schöne Feier geben! Ein Bankett für alle mitten auf dem Kirchplatz und am Nachmittag dann Tanz und Musik. Sogar die Grafen werden kommen. Graf Friedrich will eigens dafür seine Sommerjagd unterbrechen. Ein wahrlich schönes Fest wird das geben.»
Benedikt entging nicht der düstere Unterton in Daniels Worten.
«Was ist mit dir?», fragte er den Gesellen.
«Ach, Benedikt – du wirst es ja ohnehin demnächst erfahren. Mit diesem Fest wird meine Zeit als Steinmetz zu Ende gehen.»
«Was sagst du da?»
«Jetzt glotz mich nicht an wie ein Maulaff ’. Dass ich nicht mehr der Jüngste bin, ist dir wohl nicht entgangen. Die Arbeit ist mir zu schwer geworden. Und so mancher Schlag ist mir in letzter Zeit gründlich danebengegangen. – Jetzt musst halt die Peter-und-Pauls-Kapelle ohne mich fertigstellen», versuchte er zu scherzen.
«Aber – was wirst du stattdessen tun?»
«Der Parlier hat mir leichtere Arbeiten zugewiesen. Die Werkstätten sauber halten, kleinere Ausbesserungsarbeiten – all solches Zeug. Du wirst mich also nicht so schnell los, keine Sorge.»
Benedikt schüttelte den Kopf. «Das ist nicht dasselbe. Mit wem soll ich jetzt zusammenarbeiten? Seitdem ich auf dieser Hütte bin, arbeiten wir beide Hand in Hand.»
«Ich weiß doch. Mir tut es auch leid. Aber du wirst sehen …»
Das Läuten der Hüttenglocke unterbrach ihr Gespräch. Erstaunt sahen sie sich an: Das war nicht das Zeichen zum Feierabend, sondern der Ruf zu einer Zusammenkunft aller.
Rasch räumten sie ihr Werkzeug in die Kisten und schlossen sich den übrigen Werkleuten und Arbeitern an, die nun vor das Haus des Meisters strömten. Johannes von Gmünd und sein Parlier erwarteten sie dort mit besorgten Gesichtern.
«Liebe Männer, liebe Brüder unserer Steinmetzbruderschaft», begann der Parlier. «Ich muss euch eine schlechte Nachricht kundtun.»
Er stockte und sah zu Meister Johannes. Der nickte ihm aufmunternd zu.
«So hört also. Eben hat mir Meister Grathwohl, der Wundarzt, überbracht, dass allein heute und in der letzten Nacht ein Dutzend Menschen an der Seuche gestorben sind, drüben in der Neuburgvorstadt. Gott sei ihren Seelen gnädig.»
Er bekreuzigte sich, und die anderen Männer taten es ihm mit schreckensbleichen Gesichtern nach.
«Des Weiteren sind auch etliche Bewohner im Stadtinneren erkrankt. Der Allmächtige in seinen unerforschlichen Ratschlüssen hat unser Freiburg
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