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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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floss.
    «Jetzt hab ich noch etwas Schönes für euch», sagte sie, nachdem sie die Kinder zum Abstieg zusammengerufen hatte. «Ein Fuchs ist in die Falle gegangen, und so wird es nachher einen Festschmaus geben.»
    Die Kinder brachen in Jubel aus, und Clara freute sich mit ihnen. Die anfängliche Begeisterung der Kleinen über das abenteuerliche Leben im Wald war nämlich längst verebbt. Drei Tage und drei Nächte hatten sie bislang in ihrer Verbannung verbracht, und schon kam es Clara vor, als sei dies eine Ewigkeit. Nach den schlaflosen Nächten vermochte sie vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen zu stehen. Sie war ein Stadtmensch, gewöhnt an die täglichen Geräusche in den Gassen, wo die Kinder tobten und sich die Waschfrauen und Marktweiber zankten, die jungen Burschen ihre Lieder und Zoten grölten, die Ausrufer ihre Waren priesen und die Gerichtsboten die neusten Ratsbeschlüsse bekanntgaben. All das begleitet vom Lärm der Werkstätten und Schmieden, von den Rufen der Türmer und Nachtwächter, der schrillen Musik von Ratstrompetern und Stadtpfeifern, dem ständigen Geläut derKirchenglocken, das nur verstummte, um sogleich erneut zum Markt, zum Gericht oder zur Ratssitzung zu rufen. Eine Stadt schien bis zur Nachtstunde niemals zur Ruhe zu kommen.
    Hier draußen hingegen war es gerade umgekehrt. Höchstens zartes Vogelgezwitscher und das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln waren tagsüber zu hören. Dafür erwachte der Wald in der Nacht. Mal ertönte ein Käuzchenruf, mal der Paarungsschrei wilder Katzen, dann wieder ein fremdartiges Keckern und Krächzen, ein Schnauben oder schrilles Fiepen. Und unablässig knackte oder raschelte es irgendwo im Unterholz.
    Dabei war die erste Nacht die schlimmste gewesen. Wie die Heringe im Salzfass lagen sie in ihrer Hütte, die Füße zur Tür, an Claras Kopfende griffbereit das Beil. Während die Kinder alsbald nach dem Nachtgebet eingeschlafen waren, hatte sie in das Dunkel gelauscht. Immer häufiger und deutlicher hatte sie rundum die Geräusche vernommen, und ihr Wachhund Cerberus, der draußen vor der Tür angebunden lag, schien ebenso wenig zur Ruhe zu kommen wie sie. Er knurrte und bellte abwechselnd, bekam wohl auch ab und an die Fährte eines Marders oder Fuchses in die Nase. Jedermann wusste, wie gefährlich die Nacht war. Nicht nur gegen menschliche Eindringlinge mussten Tür und Tor verriegelt werden, es war auch die Zeit der Dämonen und Gespenster. Erst recht im dunklen Wald.
    Clara, die sich ansonsten weder von aufdringlichen Mannsbildern noch von keifenden Weibern ins Bockshorn jagen ließ, kämpfte nun gegen die Angst an. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass Gott schon seine schützende Hand über sie halten würde. Auch hatte sie selbst alles Erdenkliche unternommen: Beim Einzug in ihre Hütte am ersten Tag hattesie ein Häufchen Salz über die linke Schulter geworfen und ein geweihtes Kräuterbüschel aus getrocknetem Arnika und Bärlauch über der Tür befestigt, um Dämonen und Wetterhexen vom Haus fernzuhalten. Zudem hing über ihrer Bettstatt ein Lochstein, der für ruhigen Schlaf sorgen sollte, denn auch er hielt das Böse ab. Und um die Kinder auch außerhalb der Hütte zu schützen, trugen sie ein Zweiglein Rosmarin um den Hals gebunden.
    Aber all das half nichts. Sie lag wach und lauschte und lauschte. Als gegen Morgen, ganz in der Nähe, Wolfsgeheul ertönte, war es endgültig vorbei mit ihrem Gottvertrauen. Sie schnellte in die Höhe, und auch die Kinder waren sofort hellwach. Da hatten sie gemeinsam zum heiligen Joseph von Nazareth gebetet, dem Schutzpatron der Familien, Reisenden und Verbannten, hatten sich hernach in den Armen gelegen, bis endlich die ersten Sonnenstrahlen durch die Bretterritzen drangen.
    Die nächsten beiden Nächte wurde es nicht viel besser. Wenn Clara denn einmal in den Schlaf fand, dann sah sie sich durch Krankenstuben irren, in denen mit Schwären und Furunkeln besetzte Leiber qualvoll stöhnten. Mittendrin Heinrich, der verzweifelt zu lindern und zu helfen versuchte. Zwar hatte Clara noch nie einen Pestilenzkranken gesehen. Doch einmal hatte Heinrich ihr ein Bild gezeigt, in einem der kostbaren Folianten und Schriften, die Behaimer ihm hin und wieder in einem Anfall von Großmut auslieh. Darauf war ein Mann abgebildet gewesen mit schwarzen Flecken und Geschwüren am ganzen Leib, und aus aufgeplatzten Beulen quoll klebrige Flüssigkeit.
    Sie schien ihre Ängste auf die Kinder zu übertragen, denn bald

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