Der Peststurm
hörte der Kanoniker mit seinem immer noch albern aussehenden Kopfnicken auf und schaute plötzlich gar nicht mehr so wissend drein.
Der Propst blickte erst den Kastellan, dann seinen Mitbruder im Herrn verdutzt an. Offensichtlich wussten beide mit dem Vorschlag des Kastellans nicht viel anzufangen.
Aber der Verlauf des weiteren Gespräches zeigte, dass es für das ganze Dorf gut wäre, wenn die erfahrene Krankenschwester mit Hilfe des jungen Geistlichen das Staufner Spital leiten und nicht nur assistieren würde.
»Also gut«, beendete der Kastellan das Gespräch. »Ich werde baldmöglichst nach Genhofen reiten, um mit ihr zu sprechen und in Erfahrung zu bringen, ob sie dieses Amt ernsthaft in Erwägung zieht oder ob es nur ein marktübliches Frauengeschnatter war. Immerhin wird sie womöglich aus ihrem Orden austreten müssen und ist ab diesem Zeitpunkt auf eine Bezahlung durch die hiesige Propstei angewiesen. Du, mein Freund Johannes, gelobst hiermit, dass du sie gleichermaßen entlohnst, wie du es mit dem liederlichen Medicus und zuvor mit dessen beliebtem Vater getan hast.«
Der Propst glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Was?«, schrie er entsetzt auf. »Die soll so viel Geld einstecken können wie ein Mann?« An Ulrichs Gesichtsausdruck merkte er aber schnell, dass er zu weit gegangen war, und formulierte deswegen seine Frage um: »Soll die Krankenschwester wirklich so viel verdienen wie ein studierter Medicus?«
»Ja«, kam es kompromisslos zurück. »Wir haben sonst niemanden.«
Obwohl der gestrenge Dienstherr seinen Kanoniker nicht einmal fragte, ob er mit dieser Lösung einverstanden wäre, schien sich der junge Priester überraschend schnell mit diesem Gedanken angefreundet zu haben und sich sogar auf die neue Aufgabe zu freuen. Noch vor Kurzem war er Diakon gewesen. Seit geraumer Zeit war er nun Pfarrer – zwar in einem noch kleineren Dorf als Staufen und zudem mit einem besonders schwierigen Menschenschlag – , aber immerhin. Und jetzt würde er sich auch noch mitverantwortlich um die Leitung einer karitativen Einrichtung kümmern dürfen, anstatt wie bisher tagtäglich den beschwerlichen Weg zur Pfarre Thalkirchdorf auf sich nehmen zu müssen. Mit der dortigen Bevölkerung kam er sowieso nicht besonders gut klar. Die ›Thaler‹, wie die wenigen dort lebenden Menschen bezeichnet wurden, waren von ganz anderem Schlag als die Staufner. Aufgrund der Pest vor sechs Jahren, bei der nur die Bauernfamilie des Georg Köhler überlebt hatte, war der Ort von umherziehenden Menschen aus allen Himmelsrichtungen wiederbevölkert worden, indem sich diese in den verwaisten Häusern und Höfen eingenistet hatten, ohne dafür auch nur einen einzigen Heller bezahlt zu haben. Ein dementsprechend unangenehmes Volk hatte sich zusammengefunden, das von den Staufnern nicht respektiert wurde. Die Staufner kreideten ihnen zudem an, dass sie lieber den weiteren und beschwerlicheren Weg bis nach Immenstadt auf sich nahmen, wenn sie ihre Warenbestände auffüllen wollten, anstatt dies auf dem wesentlich näher gelegenen Staufner Wochenmarkt oder bei den hiesigen Händlern und Handwerkern zu tun.
Der aus Kriegsflüchtlingen und umherstreunenden Söldnern zusammengewürfelte Haufen glaubte immer noch, dass Martius Nordheim ein Mönch war, obwohl er ihnen immer wieder von der Kanzel aus und in persönlichen Gesprächen erklärt hatte, dass Kanoniker eine Zweckgemeinschaft von Weltpriestern und keine Mönche waren. Auch wenn sie die gemeinsamen Einkünfte untereinander aufteilten, hatten sie doch verschiedene Aufgaben, die sie von Propst Glatt übertragen bekamen. Wie alle Kanoniker, lebten auch die vier Staufner Glaubensbrüder nicht in einer klosterähnlichen Gemeinschaft, sondern in einzelnen Kammern im Propsteigebäude.
Martius Nordheim betrachtete die Berufung zum Helfer der Spitalleiterin als einen gewaltigen Aufstieg. Nur allzu gern überließ er die Pfarre St. Johann im Thal einem seiner drei Mitbrüder, die derzeit ihre Dienste in Hinterreute und anderen traurigen Winkeln der Pfarrei verrichteten.
Nachdem alles so weit geklärt war, wollten sie den hervorragenden Schachzug, der durch die weitsichtige Konstanze Dreyling von Wagrain eingeleitet und von ihrem Mann aufgegriffen worden war, begießen. Der Propst holte noch ein Trinkgefäß, um Nordheim einen Schluck Wein einzuschenken. So erhoben sie denn ihre Becher.
»Endlich wieder eine vernünftige medizinische Betreuung in Aussicht«, freute sich der
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