Der Peststurm
opfern müssen und sich seit der erfolglosen Rückkehr von der Suche nach Otward nur wenig bewegt. Die Vorräte, die ihnen Eginhard gebracht hatte, gingen langsam, aber sicher zur Neige.
»Es ist höchste Zeit, dass wir unter die Lebenden zurückkehren und wieder unsere Arbeit aufnehmen«, sagte der Blaufärber, während er den Arm seiner Frau noch fester in den seinen hakte, um sie besser stützen zu können. »Oben liegen etliche Ballen Leinen, die verarbeitet werden wollen.« Als er dies äußerte, zeigte er zum Dachgeschoss des Färberhauses, an dessen nördlicher Außenseite – wie auf der Südseite – sich ebenfalls Stangen zum Trocknen der gefärbten Stoffbahnen befanden.
Da der Blaufärber seit der Rückkehr aus Dietmannsried noch nicht wieder auf dem Dachboden war, wusste er auch nicht, dass sich dort vor geraumer Zeit Krähen eingenistet gehabt hatten und ein Großteil seiner Ware über und über voller ätzendem Vogelkot war, der sie ziemlich unbrauchbar gemacht hatte.
Die frische Frühlingsluft und die Bewegung taten den beiden gut. Sie hatten einen klaren Blick auf die vertraute Bergkette und erfreuten sich am fröhlichen Gezwitscher der Vögel und am beruhigenden Rauschen der Blätter. Dennoch wurde es dem Blaufärber mulmig, als sie dem Teich näher kamen und er von den sich im Wasser brechenden Lichtstrahlen der Sonne geblendet wurde. Je mehr sie sich dem kleinen Gewässer näherten, umso trüber wurden seine Gedanken.
Auch wenn die Blaufärberin immer noch davon ausging, dass darin keiner ihrer Söhne ums Leben gekommen sein konnte, so war dort doch ein Mensch gestorben. Dies hatte auch sie zunehmend nachdenklich werden lassen. Fast am Tümpel angelangt, blieb sie stehen und faltete ihre geschundenen Hände zum Gebet.
»Bete für mich mit. Ich möchte mir den Teich etwas näher betrachten«, sagte der Blaufärber ruhig, während er die letzten Schritte zum Wasser allein ging. Kaum am Entenpfuhl angekommen, sah er etwas im Ufergeäst hängen. Neugierig geworden, versicherte er sich, dass seine Frau nicht hersah, bevor er die frisch knospenden Zweige auf die Seite schob, um die Sache zu untersuchen. Er konnte aber nichts Genaues erkennen. Wenn er erfahren wollte, um was es sich handelte, würde er sich weit nach vorne beugen müssen, was er nach einigem Zögern auch tat.
»Verdammter Mist«, schrie er, als er bauchüber in den Teich klatschte. Seine Frau bekam einen Riesenschrecken und wollte ihm zu Hilfe eilen.
»Bleib wo du bist, Gunda«, winkte er beruhigend ab. »Mir ist nichts passiert. Es ist nicht tief. Ich kann hier gut stehen.«
Als er ans rettende Ufer wollte, merkte er, dass ihn der weiche Seegrund festzuhalten versuchte. Er fasste nach unten, um mit Hilfe seiner Hände einen seiner steckengebliebenen Füße aus dem Morast zu ziehen. Plötzlich schrie er laut auf.
»Was ist?«, rief seine verängstigte Frau.
»Ich weiß nicht! Ich muss mich wohl an irgendetwas geritzt haben.«
Tatsächlich blutete seine Hand. Da er immer noch feststeckte, musste er wohl oder übel wieder nach unten greifen. Dieses Mal tastete er sich behutsamer an seinem linken Bein hinunter, um daran ziehen zu können. Dabei berührte er einen festen Gegenstand, den er vorsichtig anfasste und sogleich nach oben hievte.
Er glaubte, vom Blitz getroffen zu werden, als er erkannte, was er da in Händen hielt. Seine Befürchtung hatte sich bestätigt. Kein Zweifel: es war das Arbeitsmesser seines Sohnes Otward, der es bei seiner Abreise nach Dietmannsried zu seinem Schutz mitgenommen haben musste, weil es zu Hause nicht mehr zu finden gewesen war. Der besorgte Vater hatte ihm damals noch davon abgeraten, weil dem gemeinen Volk neben Waffen aller Art auch das Tragen von Messern verboten war, wenn sie nicht unmittelbar für die Arbeit benötigt wurden. Otward hatte nur gemeint, dass er es gut zu verstecken wüsste. Jetzt stand für den Blaufärber fest, dass sein ältester Sohn tot und hier aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Der abgearbeitete Mann hätte aus Wut und Trauer heulen und laut schreien können.
Kaum haben wir den Schmerz über das Verschwinden unserer geliebten Kinder einigermaßen überwunden, kommt die nächste Strafe Gottes, dachte er, während er das Messer sanft streichelnd vom Schlick befreite und einsteckte.
Er überlegte, was zu tun wäre, und beschloss, seiner Frau noch nichts davon zu erzählen.
Ich muss mein Weib schonen. Es würde ihr
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