Der Peststurm
Ortsvorsteher, der Kraft dieses Amtes nicht nur die Verantwortung für das Schloss und deren Bewohner, sondern auch noch unbezahlte Arbeit für ganz Staufen auf sich genommen hatte.
»Ja! Jetzt werden wir bekommen, was wir uns so sehr gewünscht haben«, bekundete auch der Propst seine Freude über den gelungenen Handel, den sie allerdings bisher ohne Schwester Bonifatia gemacht hatten.
»Apropos ›bekommen‹«, unterbrach Ulrich seinen Freund, während er sich mit der flachen Hand so fest auf die Stirn schlug, dass es klatschte. »Fast hätte ich es vergessen: Gestern habe ich ein Sendschreiben von Oberamtmann Speen bekommen, in dem er mir mitteilt, dass unser hochverehrter Graf plant, mit der Gnädigen und einem Teil des Hofstaates von Konstanz nach Immenstadt zurückzukehren!«
»Das ist fürwahr eine frohe Kunde. Aber warum bringt er nicht alle mit … und was ist mit den jungen Herrschaften?«, fragte der Propst.
»Sicher ist es nur die Vorhut, und unser Herr möchte sich vergewissern, dass hier keine Pest wütet, bevor er seine Kinder nachholen lässt.«
»Und wann?«
»Spätestens an Christi Himmelfahrt möchte er hier sein.«
»Dann wird er voraussichtlich am Namenstag der mildtätigen Katharina von Siena oder tags darauf, am Namenstag der ehrwürdigen Hildegard von Bingen, eintreffen«, stellte der Propst, der – egal wovon er sprach – immer eine Verbindung zu Heiligen oder anderen namhaften Persönlichkeiten der katholischen Kirche herzustellen pflegte, fest.
»Ja! Du könntest recht haben. Umso wichtiger ist es, dass wir bis dahin die Sache mit dem Spital zum Laufen gebracht haben! Auch wenn es momentan ruhig ist und es bis auf die üblichen Kranken und Verletzten keine ernst zu nehmenden Probleme gibt, wissen wir nicht, wann das Spital wieder benötigt wird. Die Pest ist zwar zur Zeit kein Thema, kann aber jederzeit wieder ausbrechen. Außerdem herrscht immer noch Krieg und es treiben sich auch im Allgäu ständig kaiserliche und schwedische Söldnertruppen herum, die brandschatzen, rauben und morden.«
»Gott bewahre«, schoss es aus dem Propst heraus, der sich sogleich bekreuzigte.
Kapitel 3
Die Kraft der Frühlingssonne ließ den meisten Schnee dahinschmelzen und machte sogar aus den hartnäckigsten Eisklumpen immer kleiner werdende schmutzige Gebilde. Auf der Mooswiese unterhalb von Sinswang blühten gelbe Trollblumen, so weit das Auge reichte, und buhlten mit der blauvioletten Krokuswiese auf dem Hündlekopf hoch über dem Konstanzertal. Und auf der entgegengesetzten Seite Staufens legte sich über den Obergölchenwanger Grat eine malerische Wolkenfahne. Angenehme Stimmung ergriff von den Menschen, die fest davon überzeugt waren, die schlimmste Zeit hinter sich zu haben, Besitz. Sie hatten die Tragödie mit der vermeintlichen Pest überstanden und konnten jetzt auch noch den Winter endgültig verabschieden.
Viele von ihnen pilgerten immer und immer wieder zum Galgenbihl, um den Rest des Verfalls ihres ehemaligen Peinigers zu verfolgen. Sie genossen es, den Medicus ungestraft anzuspucken und zuzusehen, wie ihn die Krähen mehr und mehr aushöhlten. Einer hatte dem Strangulierten sogar das Hemd heruntergerissen, um den Biestern zu helfen, leichter an ihre Mahlzeit zu kommen. Als aber irgendein nächtlicher Besucher seine Skrupel überwunden und den Strick durchgeschnitten hatte, damit die Reste des Leichnams herunterfallen und Füchse oder verwilderte Hunde den Rest besorgen konnten, war es mit der Gafferei vorbei. Dies hatte auch den Vorteil, dass zumindest dort, wo bald nur noch ein paar Knochen herumlagen, schnell alle Spuren der schrecklichen Zeit und die durch den Medicus geschlagenen Wunden verschwunden waren und langsam vernarben konnten.
Da es auf dem Galgenbihl nichts mehr zu sehen gab, ging jetzt auch niemand mehr dorthin. Nur der Bechtelerbauer kam von Zeit zu Zeit, um den Galgen mitsamt dem Holzpodest auf dessen Funktionalität hin zu kontrollieren, damit er jederzeit für die Vollstreckung eines eventuellen Schnellurteiles einsetzbar wäre. Da diese Fläche von jeher als hoheitlich ausgewiesen war, konnte sie von niemandem bewirtschaftet werden. Lediglich Bechtelers Schafe durften darauf grasen. Der Bauer musste sich sogar verpflichten, dass der Galgenbihl zum Zwecke von Hinrichtungen stets sauber abgegrast war. Und dafür bekam er auch noch Geld vom Immenstädter Oberamt. Da sich dies der ansonsten nicht unbedingt als ruchig bekannte Bauer nicht entgehen lassen
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