Der Peststurm
andermal darüber reden. Jetzt müssen wir Lodewig suchen.«
Obwohl sie ihre Lichtquellen in die hintersten Winkel des Dorfes hielten und immer wieder nach dem Gesuchten riefen, bewegte sich außer ein paar neugierigen Augen, die hin und wieder misstrauisch auf sie gerichtet waren, nichts. Wenn sie einen der Neugierigen nach Lodewig fragten, wurden ihnen stets Fensterläden oder Türen vor den Nasen zugeschlagen.
Erst als sie an die Stelle kamen, an der sich Lodewig mit dem Totengräber auf dem Boden gewälzt und um sein Leben gekämpft hatte, kam Bewegung in die Sache. Der Blaufärber hielt seine Laterne nach unten und bückte sich.
»Was habt Ihr da?«, fragte der Kastellan.
»Ach, nur ein Tuch.«
»Was? Lasst sehen!«
Der Kastellan erkannte sofort, dass es eines seiner Schnupftücher war, und blickte hektisch um sich. »Das gehört mir. Lodewig muss es benutzt und hier verloren haben«, konstatierte er.
Schon kniete Nepomuk mit einem Bein auf dem Boden und strich leicht über die sandige Erde, bevor er sie langsam durch seine Finger rieseln ließ. »Ich glaube, dass hier erst vor kurzer Zeit mehrere Leute waren. Der aufgewühlte Dreck ist noch ganz locker.«
Ein Stück weiter kniete er sich wieder auf den Boden und wiederholte die Prozedur. Dass er auf einem Stein noch nicht ganz angetrocknetes Blut entdeckt hatte, verschwieg er lieber.
»Heißt das, Lodewig war hier in einen Kampf verwickelt?«, fragte der Kastellan seinen Freund.
»Ich weiß nicht, aber es wäre möglich.«
»Dabei könnte er das Tuch verloren haben«, folgerte der Blaufärber, dem die Gesellschaft der beiden Männer nicht nur etwas Ablenkung bot, sondern ihm auch guttat. Endlich einmal war nicht er es, dem geholfen werden musste. Jetzt konnte er dem Kastellan zu Diensten sein.
»Ein düsterer Ort. Ideal für einen räuberischen Überfall«, bestätigte Nepomuk die Vermutung, während er sich umsah und feststellte, dass die umgekippte Tonne vor Kurzem noch an einem anderen Platz gestanden haben musste.
Nachdem sie den Hinterhof akribisch untersucht hatten, außer weiteren Kampfspuren im Dreck jedoch nichts gefunden hatten, drängte der Kastellan zum Gehen. Sie liefen die Gasse entgegen der Richtung, aus der Lodewig gekommen war.
»Seht doch! … Dort«, rief der Blaufärber, der eine Nase für unangenehme Entdeckungen zu haben schien. Ihre Lichter nach vorne haltend, rannten Nepomuk und der Kastellan hinter dem Blaufärber her und blieben wie gebannt stehen, als sie mitten auf dem Weg einen menschlichen Körper, zweifellos den geschundenen Leib einer Frau, sahen.
Als sich der Kastellan bücken wollte, hielt ihn Nepomuk zurück: »Halt, Ulrich! Tritt nicht so nahe heran, denk an die Pestflöhe.«
»Aber das ist Lodewigs Wams!«
»Oh«, entfuhr es dem überraschten Mönch. »Warte dennoch!« Er suchte einen Stock, um damit das Wams des jungen Mannes vom Körper der Frau zu heben.
»Ei jei jei jei jei! Was ist denn mit der geschehen? Die wurde ja übel zugerichtet«, stellte der Blaufärber fest und bekreuzigte sich, nachdem sein Blick ungewollt auf die entblößte Scham der bedauernswerten Frau gefallen war.
Nachdem Nepomuk den leblosen Körper wieder bedeckt und ebenfalls das Kreuzzeichen gemacht hatte, meinte er, dass die junge Frau vermutlich einer schändlichen Gewalttat zum Opfer gefallen war.
Die drei sahen sich betroffen an.
»Lodewig?«, kam es ungläubig aus zwei Kehlen hervor.
Der Kastellan blickte die beiden abwechselnd an. »Ihr seid doch verrückt. Mein Sohn wäre niemals zu solch einer Tat fähig«, schrie er und fuhr sich nachdenklich durch die Haare. »Nein! Nein! Nein! Mein Sohn ist ein anständiger junger Mann und würde niemals etwas gegen den Willen einer Frau tun.«
»Beruhige dich, Ulrich! Natürlich hat dein Sohn nichts mit dem Tod dieser Frau zu tun. Es muss eine andere Erklärung dafür geben, weshalb Lodewigs Wams auf der Leiche dieses beklagenswerten Geschöpfes liegt. Tretet zurück, damit ich die Frau wenigstens oberflächlich untersuchen kann.«
Während Nepomuk das Wams wieder abnahm und seine unangenehme Arbeit verrichtete, suchten der Kastellan und der Blaufärber die nähere Umgebung nach Lodewig oder einem Hinweis auf ihn ab. Da sie aber nichts finden konnten, gingen sie gleich wieder zurück.
»Und?«, fragte der Kastellan schroff.
»Die geschwächte Frau ist zwar ausgehungert, aber nicht der Pest erlegen! Sie wurde in der Tat brutal geschändet und ist dabei zu Tode
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