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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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wusste er nicht, dass er dem Anschein nach der letzte Pestwittiber in Staufen war und der Spuk jetzt – nachdem die Reste seiner Frau, in Rupfen genäht, auf dem Weg zum Pestfriedhof waren – ein für alle Mal vorüber zu sein schien.
    Von Anbeginn des Monats Mai Anno Domini 1635 bis zum heutigen Tag, der dem Heiligen Nikolaus von Myra in Lykien geweiht war, hatte sich die Pestilenz sage und schreibe zwei Drittel der Bevölkerung Staufens geholt.
    Die Frau des Werkzeugmachers war wohl das letzte von insgesamt 706 Opfern der wütenden Seuche in diesem Allgäuer Dorf. Aber war dies auch die schlimmste Zeit in der Geschichte Staufens? Oder sollte noch etwas kommen?
     
    Gott, der Herr, sei ihren armen Seelen gnädig. Lasset uns beten …
     
    *
     
    Im Schloss indessen fanden sich alle, die während der vergangenen Tage an der Suche nach Lodewig beteiligt gewesen waren, zusammen. Für Rosalinde war es seit Diederichs Tod, durch dessen Umstände ihre Verbannung aus der Vogtei verfügt worden war, das erste Mal, dass sie die Innenräume des Schlosses nicht nur betreten durfte, sondern auf Geheiß ihrer Herrin sogar betreten musste.
    Auch wenn sie Lodewig nicht gefunden hatte, schien sich Rosalindes Aktivität bei der Suche gelohnt zu haben. Obwohl der Grund der Zusammenkunft alles andere als beglückend war, durchdrang die Magd ein Wohlgefühl des Glücks und innerer Zufriedenheit. In ihre stille Freude mischte sich aber auch Angst, die Angst davor, ihrer Herrin seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in die Augen schauen zu müssen. Obwohl sie es kaum erwarten konnte, endlich wieder die ihr in all den Jahren vertraut gewordenen Räume zu betreten, zauderte sie. Erst als ihr Ignaz Mut zusprach, traute sie sich einzutreten. Dabei überkam sie ein ungutes Gefühl, das sich mit einer so starken Freude vermischte, dass sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. In ihrer Verlegenheit eilte sie sofort in die Schlossküche und nahm ihre alte Arbeit auf.
     
    Trotz der frühen Morgenstunde sollte jetzt gemeinsam besprochen werden, ob es überhaupt noch Sinn hatte, weiter nach Lodewig zu suchen. Dafür war das ›Gelbschwarze Streifenzimmer‹ schon in aller Herrgottsfrüh eingeheizt worden. Überall standen Öllampen und Kerzen, die ein wohltuendes Licht verbreiteten und davon ablenkten, dass es bereits Dezember und draußen unangenehm trüb war. Sie alle spürten, wie sich die Kälte nach und nach zu entfalten begann und der längst erwartete Winter erst jetzt richtig anfing. Wäre der Grund des Zusammentreffens nicht so traurig gewesen, hätte man die Situation als richtig gemütlich empfinden können. Jetzt saßen alle im Raum und warteten nur noch auf Konstanze. Melchiors Freunde und die Blaufärber waren die Einzigen, die noch niemals innerhalb des Schlosses und schon gar nicht in diesem wunderschönen Saal gewesen waren. Ehrfurchtsvoll betrachteten sie das wertvolle Interieur und trauten sich dabei kaum zu atmen. Immer wieder hasteten ihre Blicke zum Kastellan, der unruhig auf und ab ging. Indem sie die Augen des Schlossverwalters suchten, wollten sie sich vergewissern, nichts falsch gemacht zu haben. Sie wussten nicht, ob es ihnen überhaupt zustand, sich an den schönen Dingen dieses, den einstigen Burgbesitzern, den Herrn von Schellenberg, gewidmeten kleinen Saales zu erfreuen.
    Während sich die Blaufärber von der Schönheit dieses Raumes gefangen nehmen ließen, schabte sich Ignaz – unbemerkt von den anderen – mit der Spitze seines Hirschfängers den Dreck unter den Fingernägeln heraus. Siegbert unterhielt sich derweil mit Bruder Nepomuk und Rudolph zog es vor, sich geistig auf das kommende Gespräch vorzubereiten, was sich darin erschöpfte zu versuchen, einen klugen Ausdruck in sein Gesicht zu bemühen. Dass er dabei eingenickt war und wie ein Wildschwein grunzte, merkte er nicht. Melchior, der seinen Freund Lodewig schon des Öfteren im Schloss hatte besuchen dürfen, erklärte seinen Freunden leise, was sie gerade bestaunten.
    Als Rosalinde zufällig aus dem Fenster blickte, sah sie, wie drei Frauen aus dem Vogteigebäude traten. »Die Herrin«, entfuhr es ihr erschrocken. »U … U … Und sie ist nicht allein!« Die Magd wischte sich hastig die Hände an einem Lappen ab, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und eilte zum ›Streifenzimmer‹, wie der kleine Saal in Kurzform genannt wurde. Als sie die Flügeltür versehentlich eine Spur zu fest aufriss, ruhten plötzlich alle – auch Rudolphs –

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