Der Peststurm
hatte: Der Kastellan schmiss seinen aus feinstem Wildleder gefertigten, breitkrempigen und in der knalligen ›Farbe der Erleuchtung‹ eingefärbten Schlapphut einem dafür vorgesehenen Gestell aus Hirschgeweihen entgegen. Beim Zusammenmischen der Grundfarbe Gelb und der Primärfarbe Rot hatte der Lederfärber aus Lindenberg, wo diese teuren Hüte angefertigt wurden, natürlich nicht im Sinn gehabt, den Hut in derselben Farbe einzufärben, wie die Gewandungen der buddhistischen Mönche dies seit Jahrhunderten wurden. Mag sie im fernen, und in diesem Teil des Landes gänzlich unbekannten Tibet tatsächlich der Erleuchtung dienen, weist sie hier die Träger dieser auffälligen Hüte als hochrangige Beamte oder als Offiziere des Königsegg’schen Regimentes aus, was auch dadurch dokumentiert wurde, dass die roten Straußenfedern am Hut – die der Kastellan von Rosalinde hatte abnehmen lassen, bevor er losgeritten war – und das gelbe Wams unter’m Brustpanzer die gräflichen Wappenfarben widerspiegelten. Was die Hutfarbe anbelangte, so garantierte sie den Heerführern unter ihnen, im Pulverrauch der Kriegsscharmützel von den eigenen Leuten gut gesehen werden zu können. Und so war es auch hier; als der Hut zum Haken flog und sein Ziel traf, drehten sich ihm die Köpfe sämtlicher Gäste zu.
Da dies dem Kastellan auffiel, musste er schmunzeln. Er blickte sich kurz im Raum um und nahm am einzigen Tisch Platz, an dem nicht gewürfelt wurde.
»Guter Wurf«, bemerkte einer der dort sitzenden Gäste anerkennend.
Außer diesem ordentlich aussehenden Mann, der seiner Gewandung aus feinstem Zwirn nach ein Kaufmann sein könnte, saßen da nur ein paar besonders wüste Typen, die ihn trotz seiner guten Bewaffnung recht schroff behandelten. Ungeachtet des rauen Umgangstones hoffte er, etwas über den Totengräber zu erfahren. Eigentlich musste ein Schwarzgewandeter auf einem weißen Pferd in dieser Gegend auffallen. Bei dieser Gelegenheit kam ihm in den Sinn, dass es für ihn selbst doch besser war, mit einer gewöhnlich braunen Stute unterwegs zu sein, anstatt mit seinem eigenen, kohlrabenschwarzen Hengst unnötig irgendwelche Begehrlichkeiten zu wecken und Raubgesindel auf den Plan zu rufen.
Hätte Ulrich Dreyling von Wagrain gewusst, wie wüst und ungepflegt der Gesuchte mittlerweile aussah, wäre er sich absolut sicher gewesen, dass dieser Aufmerksamkeit erregt hätte. Aber auch hier lief das Spiel wie allerorten – erst der Alkohol löste langsam die Zungen. Dennoch: Obwohl er am Tisch zwei Runden ausgegeben hatte, erfuhr der Kastellan nichts Brauchbares von den Männern. Also beschloss er, eine Lokalrunde zu spendieren, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Jetzt schauten auch diejenigen zu ihm herüber, denen er bisher noch nicht aufgefallen war. Der Kastellan nutzte diese Gelegenheit, stand auf und prostete allen zu.
»Hat jemand von euch einen Bärtigen in schwarzer Gewandung auf einem Schimmel mit auffälligem Sattel- und Zaumzeug gesehen?«, rief er laut, erntete aber außer dem dummen Geschwätz einiger sich wichtig nehmender Saufköpfe nur Kopfschütteln.
Als er ein Weilchen später nach draußen ging, um seine Notdurft zu verrichten, wurde er von hinten angesprochen. Instinktiv duckte er sich, während er seine Waffe zog und gleichzeitig einen Satz auf die Seite machte.
»Bleib in d’r Ruah«, hörte er eine sonore und beruhigend wirkende Stimme aus dem Dunkel.
»Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?«, fragte der Kastellan, während sich seine Augen bemühten, den Besitzer der Stimme auszumachen.
»Do bin i! Du brauchschd kui Angschd it hong. Ha wa, niemed will ebbes vu dir«, vernahm er in breitem schwäbischem Dialekt.
»Tretet hervor und zeigt Euch, wenn Ihr keine bösen Absichten hegt.«
Nach einem Moment absoluter Stille schälte sich der Fremde aus dem Dunkel der Hauswand und ging auf den Kastellan – der mittlerweile auch noch seinen Dolch gezogen hielt – zu.
»I woiß ebbes, des di interessiere dirft«, war eine Aussage, die den Kastellan neugierig werden ließ, weswegen er sich auf ein Gespräch mit dem alles andere als vertrauenerweckend aussehenden Mann, dessen vernarbtes Gesicht verriet, dass er so einiges hinter sich und wahrscheinlich auch im Großen Krieg mitgemischt hatte, einließ.
Nach ein paar Minuten war er tatsächlich um eine – wie er hoffte, wertvolle – Information reicher und um zwei ganze Gulden ärmer. Mit diesem teuer erkauften Wissen ging er,
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