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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ihm vor noch nicht allzu langer Zeit das Leben schwer gemacht hatten. Er mochte jetzt nicht an die Vergangenheit denken. Er wusste sowieso nicht mehr, was schlimmer gewesen war: seine total missratene Kindheit in Lindau, seine lasterhafte Jugend in anderen Städten rund um den Bodensee und in Oberschwaben oder das vergangene dreiviertel Jahr in Staufen. Er mochte auch nicht mehr daran denken und sein altes Leben am liebsten abstreifen wie kurz zuvor die Maden von seinem Schuh.
    Während er in die Tasche griff, um das Geld, das er von Propst Glatt bekommen hatte, durch die Finger gleiten zu lassen, vervollständigte er seine immer wiederkehrenden Fantasien von einer besseren Zeit. Immerhin hatte er bisher keine Zukunft gehabt, weswegen es sich nicht gelohnt hatte, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Als ungebildeter und arbeitsloser Bastard, zumal als Sohn einer gottverdammten Straßenhure, wäre er wohl sein ganzes Leben lang ein Dieb geblieben.
    Irgendwann hätten sie ihn beim Klauen erwischt und ihm eine Hand abgeschlagen. Da das Stehlen mit einer Hand vermutlich wesentlich komplizierter geworden wäre, hätten sie ihn wahrscheinlich bald darauf wieder erwischt und ihm auch noch die zweite Hand abgehackt – dies schienen fürwahr keine guten Aussichten. Aber dies war jetzt endgültig vorbei. Er wollte sich nicht mehr am Eigentum seiner mehr oder weniger spendablen Mitmenschen vergreifen. Außerdem hatte er es jetzt nicht mehr nötig, anderen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und auf Apfelbäume zu klettern, um seinen knurrenden Magen zu beruhigen. Fabio hatte sogar eine wunderbare Erfahrung gemacht: er konnte arbeiten, sogar hart arbeiten. Diese Erkenntnis wollte er auf anderer Ebene, als dies in Staufen der Fall gewesen war, umsetzen, sowie er diesem Kaff den Rücken zugedreht haben würde und in irgend einer Stadt angekommen wäre. Er erwog sogar, etwas von seinem Geld dafür einzusetzen, um einen Scholaren zu engagieren, der ihm ein wenig Schreiben und Lesen beibringen würde.
     
    Als er gedankenverloren an die Steigung kam, an der er sich mit dem Leichenkarren immer schwergetan hatte, musste er größere Schritte machen, um das steile Stück besser bewältigen zu können. Dabei durchzuckte es ihn, als wäre er von einer Kreuzotter gebissen worden. War sein ganzes Geld noch da oder hatte er nicht eben ein Geldstück verloren? Seit Verlassen des Pestfriedhofes hatte er in der Tasche seiner Beingewandung spielen wollen, dies aber gelassen, weil er sich ständig am Kopf hatte kratzen müssen. Nachdem er mit seinen Fingern die Tasche seiner zerschlissenen Beingewandung abgetastet und die Geldstücke herausgenommen hatte, gab es keinen Zweifel mehr: sie hatte ein Loch! Aufgeregt suchte er den Weg um sich herum und ein paar Fuß weit hinter sich ab, bevor er sich fluchend auf einen Baumstumpf setzte und seinen Reichtum zum zweiten male zählte. Tatsächlich vermisste er zwei Münzen. So oft Fabio das Geld auch drehte und wendete, es wurde nicht mehr – zwei Heller fehlten. Bevor er den Weg Schritt für Schritt – genau so, wie er ihn gekommen war – zurückgehen wollte, riss er sich einen Fetzen sowieso schon lose hängenden Stoffes von seiner Jacke, um die verbliebene Barschaft sorgfältig damit einzuwickeln. Dabei zählte er wieder nach. Je öfter er die Münzen zwischen seine schrundigen Finger gleiten ließ, umso mehr ärgerte ihn seine eigene Dummheit.
    Jetzt blieb ihm nur noch, das restliche Geld sicher zu verwahren. Um nicht noch mehr zu verlieren und es zudem vor Diebstahl zu schützen, steckte er das kleine Bündel unter seine Bruche.
    »Dort sucht wohl keine Straßenräuberin danach«, kam es fast seufzend heraus, während er leicht darauf klopfte.
    Nachdem er seine Beingewandung wieder hochgezogen und sorgfältig verschnürt hatte, machte er sich auf die Suche nach seinen verlorenen Münzen.

Kapitel 55
     
    Bisher hatte der Kastellan den Spuren , die das edle Pferd des Totengräbers hinterlassen hatte, einigermaßen gut folgen können. Das Problem war, dass der Flüchtige seinem Ross ungeniert die Sporen geben konnte, während er selbst immer wieder halten und Einheimische oder Wanderer nach dem Gesuchten fragen und zwischendurch sogar absteigen musste, um dessen Fährte zu finden.
    So war es ihm bei jeder Straßengabelung ergangen, seit er aus Staufen in Richtung Salzstraße hinausgeritten war. Da die dortigen Straßen teilweise mit Schnee bedeckt waren, hatte er keine großen

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