Der Peststurm
anstatt in die Wirtsstube zurück, direkt in seine Kammer hoch, um am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh und ausgeruht weiterreiten zu können.
Kapitel 56
Fabio stand jetzt abermals vor dem Pestfriedhof. Er war den ganzen Weg zurückgelaufen, um sein verlorenes Geld wiederzufinden. Dass ihm bei seiner Suche bisher kein Erfolg beschieden war, ärgerte ihn gewaltig; insbesondere, weil er den Weg Schritt für Schritt zurückverfolgt und in gebückter Haltung Gras, Steinchen und alles andere, was ein Geldstück verdecken könnte, beiseitegeschoben hatte. Obwohl sein Rücken schmerzte, wollte er auch diesen Teil seiner Arbeit erfolgreich beenden.
Wahrscheinlich finde ich sie dort, wo ich vorhin eine Pause eingelegt habe, hoffte er, während er mehr zufällig als bewusst zur Kapelle blickte. Dabei kamen ihm wieder die Geräusche und der Geruch von vorhin in den Sinn.
*
Als Fabio direkt vor der Kapellentür stand und abermals am Schlüsselloch schnupperte, war er absolut sicher, dass es nach Mensch roch. Obwohl er beileibe keine Lust darauf hatte, schon wieder eine oder mehrere Leichen zu finden, erwachte in ihm der Ehrgeiz. Um herauszufinden, ob er die Tür irgendwie aushebeln könnte, tastete er sie an den Seiten ab und stemmte sich fest dagegen. Dabei fiel sein Blick nach unten und unweigerlich auch auf das, was dort lag: ein Geldstück! Fabio konnte es nicht fassen, dass er einen der beiden verlorenen Heller wiedergefunden hatte. Und dies ausgerechnet direkt vor der Kapellentür. Er bückte sich, um nachzusehen, ob dort auch der zweite Heller lag oder ob er durch den Türschlitz ins Kapelleninnere gerollt war. Als er auf dem Boden lag und seinen Kopf gegen den zwei Finger breiten Schlitz drückte, sah er tatsächlich die zweite Münze, an die er allerdings nicht herankommen konnte.
Wie ist die da rein gekommen?, wunderte er sich.
Es fiel ihm auf, dass sich das durch die Fenster eindringende Tageslicht nicht gleichmäßig über die ganze Türbreite verteilte, sondern an mehreren Stellen unterbrochen war. Also musste direkt vor der Tür etwas stehen oder liegen. Jetzt wollte er nicht nur an sein Geld, sondern auch hinter das Geheimnis kommen, das sich im Inneren der Kapelle zu verbergen schien.
Die einzige Möglichkeit ist eines der Fenster, schoss es ihm durch den Kopf, während er schon zum hinteren Teil des Gebäudes eilte, um den Leichenkarren zu holen.
Er zog das Gefährt direkt unter eines der beiden Chorfenster und stellte es hochkant an die Wand, um daran hochklettern zu können. Da die Ladefläche immer noch recht glitschig war, rutschte er einige Male ab, schaffte es aber dann doch, sich bis nach oben zu hangeln. Aber es reichte nicht aus, um durch das Fenster ins Innere der Kapelle blicken zu können. So versuchte er, sich an einer der beiden Zugstangen weiter hochzuziehen. Dabei bedachte er nicht, dass er an einer wackeligen Holzkonstruktion hing, deren Räder auf rutschigem Gras standen. So kam es, wie es kommen musste: Langsam rollten die eisenbeschlagenen Vollholzräder von der Kapelle weg und zogen den Karren mitsamt seinem Anhängsel nach unten. Die dabei entstehenden Blessuren steckte er fluchend weg, resignierte deswegen aber noch nicht. Er ignorierte die leichten Schmerzen, während er sich zwei große Steinbrocken vom Grab der Werkzeugmacherin auslieh und unter dem Kirchenfenster ablegte. Jetzt zog er den Karren wieder bis zum Kapellenfenster und wuchtete ihn mit den Zugstangen voran an die Wand. Er musste alle Kraft aufwenden, um das Gefährt so weit nach oben zu drücken und mit der Rückseite so an die Wand zu kippen, dass der hintere Teil der Ladefläche den Karren an der Kirchenwand stützen konnte. Jetzt galt es nur noch, die Zugstangen vier Fuß von der Kapellenwand wegzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie sich in den weichen Boden bohrten. Da Fabio die Steine zuvor gut platziert hatte, gelang es ihm mühelos, die Brocken so vor die Zugstangen zu legen, dass der Karren nicht mehr wegrutschen konnte, während er daran hochkletterte. Schon als er sich an einer der Zugstangen zur Ladefläche hochzog, drückte sein Gewicht die beiden Stangen ein ganzes Stück in den an dieser Stelle moosigen Boden. »Gut so!«
Endlich war Fabio auf Höhe des Fensters und konnte ins Innere der Kapelle spähen. Zunächst sah er nur ein wüstes Durcheinander auf dem Boden und wunderte sich über die zerschlagenen Heiligenfiguren, was ihm aber nur ein »Oh!« entlockte. Er klopfte
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