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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Information über den Verbleib des Totengräbers klang zwar so unglaubwürdig nach, wie der Fremde gewirkt hatte. Aber was sollte der stolze Adlige tun? Es war der sprichwörtliche Griff nach der Nadel im Heuhaufen. Er hatte dem zwielichtigen Schwaben zunächst kein Wort geglaubt. Aber dieser hatte ihm wenigstens eine Spur gewiesen, … die einzige Spur überhaupt, die ihn morgen – so Gott wollte – zu Ruland Berging führen würde. Er würde nur der Straße, die zur Freien Reichsstadt Ravensburg führte, folgen und sich in der berühmten ›Türmestadt‹ nach dem sogenannten ›Tiroler‹, einem skrupellosen Kinderhändler, erkundigen müssen, dann würde ihm Erfolg beschieden werden, … hatte zumindest der Fremde versprochen.
     
    Da sich die Nacht zäh dahinzog und an Schlaf sowieso nicht zu denken war, stand der geknickte, aber noch nicht gänzlich mutlose Mann in aller Herrgottsfrüh, lange vor dem ersten Hahnenschrei, auf und richtete sich für die Abreise her.
    Ich werde mich bei Tageslicht schon wieder zurechtfinden, hoffte er, als er in fast völliger Dunkelheit das Pferd sattelte. Lediglich der Rest jener Kerze, die am Vorabend die Theke beleuchtet und die er sich kurz ausgeliehen hatte, spendete ihm etwas Licht.
    Er versuchte, laute Geräusche zu vermeiden, ließ die Wirtsleute schlafen und legte das Geld für die Übernachtung samt einer kleinen Nutzungsgebühr für die Kerze gut sichtbar auf den Tresen. Ob dies dort allerdings so lange liegen bliebe, bis der Wirt käme, war mehr als fraglich, aber nicht sein Problem. Der Kastellan hatte recht getan und schließlich anderes im Kopf, als solch profanen Dingen nachzusinnen.
    Schon bald wird sich herausstellen, ob die Informationen ihr Geld wert sind, grübelte er, während er die kühle Morgenluft einatmete und sein Pferd sanft anwies, langsam loszutraben.
    Obwohl der Kastellan verabscheute, auf welche Art und Weise dieser Tiroler sein Geld zu verdienen schien, konnte er es nicht erwarten, den Kinderhändler kennenzulernen.
    Die Geschichten, die ihm sein undurchsichtiger Informant über dessen verachtungswürdigen Beruf aufgetischt hatte, waren so haarsträubend, dass er sie nicht glauben würde, wenn er in diesem Zusammenhang nicht erfahren hätte, dass der Totengräber direkt zum ›Tiroler‹ wollte. Dass zu Ruland Bergings Bekanntenkreis nicht nur harmlose Halsabschneider wie der Bunte Jakob und Halunken jeder Art, sondern eben auch Kinderhändler gehörten, hatte für den Kastellan absolut glaubwürdig geklungen und ihn nicht sonderlich gewundert, als er dies gehört hatte.
    Laut Aussage seines Informanten wollte sich der Totengräber noch heute Vormittag in Ravensburg mit dem Kinderhändler treffen. Um die türmebewehrte und mauerumfriedete Stadt möglichst schnell zu erreichen, verstärkte er den Druck in die Flanken seines Pferdes, aber nicht, ohne es gleichzeitig am Hals zu tätscheln.
     
    *
     
    Obwohl sich Ulrich Dreyling von Wagrain während des Rittes eines Heeres von Bettlern und Straßenräubern hatte erwehren müssen, hatte er schon von Weitem die Türme gesehen und war wohlbehalten an der Ravensburger Stadtmauer angekommen. Dank seines Standes, den er nicht nur durch sein Erscheinungsbild und sein Gebaren unter Beweis stellen konnte, sondern auch durch ein vom Grafen Königsegg unterzeichnetes Reisedokument, das er stets mit sich führte und jederzeit vorzuzeigen vermochte, war es zu keinerlei Problemen gekommen. Die beiden Torwachen hatten ihn nicht nur zügig durchgewunken, sondern sogar vor ihm salutiert, nachdem sie das gräfliche Schreiben gesehen hatten, auch wenn der Rothenfelser hier nichts, zumindest aber nicht viel, zu melden hatte. Erst als der Kastellan durch das ›Obertor‹, dem vor gut 200 Jahren erneuerten und somit vermutlich ältesten Stadttor Ravensburgs, ritt, hatte er sich erschrocken und für Aufregung gesorgt; denn ausgerechnet in dem Moment, als er unter dem Torbogen hindurchgeritten war, hatte das ›Armsünderglöcklein‹ im Giebel des Torturms zu läuten begonnen, weswegen sein Pferd gescheut hatte. Zudem war es durch das unter dem Gemäuer hallende Klacken der eigenen Hufe so erschrocken, dass es sogar einen Bettler und einen Verkaufsstand, an dem Rosenkränze und Heiligenbildchen angeboten wurden, umrannte. »Ja, ja; du bist halt ein scheues Mädchen und nicht mein stolzer ›Rabe‹. Der wäre nicht so schnell erschrocken«, sagte er, während er das unruhig hin und her tänzelnde Pferd tätschelte.

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