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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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großzügig zu sein. Aber er täuschte sich. Der Bettler hatte Erfahrung damit, wie man den Leuten das Geld aus den Taschen zog, ohne es stehlen zu müssen. Schließlich kam das Silber in seinem Gebiss nicht von ungefähr. Er hatte dem Kastellan sofort angesehen, dass dieser kein armer Mann war. Überdies merkte er, dass der feine Herr dringend eine Information benötigte, über die er glücklicherweise verfügte, da konnte dieser noch so gelangweilt tun. Ihn – den König der Ravensburger Bettler – konnte er nicht hinters Licht führen. So packte die zerlumpte Gestalt das Glück beim Schopfe und legte es darauf an, den Lohn zu erhöhen. Er bot dem Kastellan an, ihn für einen Kreuzer zum Gesuchten zu führen und ihm für einen weiteren Kreuzer auf dem Weg dorthin alles über den ›Tiroler‹ zu erzählen. »Aber keine einzelnen Hellerstücke. Ich möchte einmal in meinem Leben ein ganzes Kreuzerstück mein Eigen nennen«, log der in schäbigsten Rupfen gewandete Mann, der älter aussah, als er war. Er hatte sein ganzes Leben lang Geld zusammengebettelt und dadurch, dass sein Revier inmitten einer Freien Reichsstadt mit betuchten Bürgern lag, war er längst selbst zu einem gewissen Reichtum gekommen. Aber er würde den Teufel tun, dies nach außen hin zu zeigen. Dass er dem Kastellan versehentlich seine Silberzähne gezeigt hatte, würde ihm nie mehr passieren. Dazu liefen seine Geschäfte trotz des Krieges, der immer wieder aufflackernden Pest und der ständig wachsenden Konkurrenz noch viel zu gut.
     
    Während sie zum Haus des Kinderhändlers gingen, erzählte der Bettler dem Kastellan alles über diesen. »Er stammt aus Reutte in Tirol. Deshalb hat er auch den Spitznamen ›Tiroler‹. Einmal jährlich, im Frühjahr, ziehen er und seine Helfer in Richtung der abgelegensten Bergdörfer Tirols, Vorarlbergs und der Schweiz, um dort gegen Bezahlung Kinder der armen Bergbauern zu übernehmen und nach Ravensburg oder nach Friedrichshafen zu bringen. Den Eltern der 6- bis 14-jährigen Kinder bleibt nichts anderes übrig, als ihre Sprösslinge einem Pfarrer mitzugeben, der sie auf halbem Wege über die Alpen dem ›Tiroler‹ oder einem seiner Spießgesellen übergibt. Selbstverständlich arbeitet der Priester ebenfalls nur gegen Bezahlung, … die wahrscheinlich nur selten seiner Mutter zugutekommt«, knurrte der Bettler, der zwar einem unehrenhaften Beruf nachging, aber selbst Familienvater war und deswegen diese Art des Gelderwerbs aus tiefstem Herzen verachtete.
    »Seiner Mutter?«, wunderte sich der Kastellan.
    »Ich meine damit die Mutter Kirche«, lachte der Bettler angewidert auf. Zornig spuckte er wieder – was er dem Anschein nach oft und gerne tat – aus und fuhr in verschwörerischem Ton fort: »Die Kinder werden teilweise auf lebensgefährlichen Pfaden hierhergebracht, wo sie dann an reiche Oberschwäbische oder Allgäuer Bauern als Hütekinder, Knechte oder Mägde vermittelt werden. Somit müssen die Eltern ihre Kinder nicht mehr selbst durchfüttern und bekommen sogar auch noch etwas Geld dafür. Dafür müssen sie in Kauf nehmen, dass sie ihre Lieblinge nie wiedersehen, weil viele von ihnen entweder auf dem Weg erfroren oder an Erschöpfung gestorben sind, bevor sie hier in Ravensburg ankommen. Es kommt aber auch oft vor, dass sie ganz einfach nicht mehr aus der ›Obhut‹ ihrer Herrin oder ihres Herrn entlassen werden, weil diese auf deren billige Arbeitskraft unter keinen Umständen mehr verzichten möchten. Diesbezügliche ›Kaufverhandlungen‹ mit den Eltern führt dann der ›Tiroler‹, der sich stets die beste Provision miteinrechnet, höchstpersönlich. Dazu müssen die Väter der betreffenden Kinder – wie auch die Pfaffen – die Mühsal des halben Weges über die Alpen auf sich nehmen. Nicht selten werden die Mädchen unfreiwillig von ihrem Herrn in gute Hoffnung gebracht und deswegen vom Hof gejagt oder im Herbst wieder dem Kinderhändler mitgegeben. Da kommt es schon vor, dass für die Eltern der Schuss nach hinten losgeht und sie, anstatt über den Sommer hinweg eine Fresserin los zu sein, über Jahre hinweg ein kleines Maul mehr stopfen müssen.«
     
    Auch wenn es Ulrich Dreyling von Wagrain schauderte, würde er gerne noch mehr darüber erfahren, wurde aber vom Geschichtenerzähler mit einem Fingerzeig darauf hingewiesen, dass sie das Haus des ›Tirolers‹ erreicht hatten. Nachdem Ulrich seinen ortskundigen Führer für dessen interessante Erzählung über Gebühr entlohnt

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