Der Peststurm
gegeben. Der war aber nicht an der Pest gestorben, sondern vom Dach seines Hauses gestürzt. Ausgerechnet mit einigen noch brauchbaren Brettern der Bomberg’schen Brandruine hatte er das morsche Dach gegen den kommenden Schnee abdichten wollen. Ob es Jahwe oder Jesus Christus gewesen war, der mit göttlicher Gerechtigkeit dafür gesorgt hatte, dass es zu dem Unfall gekommen war, wusste wahrscheinlich nicht einmal der Teufel, denn aus seiner Sicht hatte es keinen Falschen getroffen. Da der ›Pater« aufgrund seiner Unbeliebtheit von niemandem betrauert wurde und jetzt alle sich mit den lebensnotwendigen Vorbereitungen für die Überwinterung und für bescheidene Weihnachten im Kreise der verbliebenen Familienmitglieder beschäftigten, war dies einerlei. Die Nachricht, dass jemand gestorben war, sorgte nicht mehr für allzu große Aufregung. Und solange es nicht die Pest war, interessierte es sowieso keinen.
»Er ist ›nur‹ vom Dach gestürzt«, hieß es erleichtert, als sich die Nachricht vom Tode des Lederers Hemmo Grob im Dorf herumgesprochen hatte.
»Ab jetzt predigt wenigstens nur noch der Pfarrer«, lautete einer der bissigen Kommentare mit freudigem Blick auf Weihnachten.
Wie am Ende der Adventszeit im Jahr zuvor, war es auch heuer bitterkalt und es schneite unaufhörlich, weswegen sich die Staufner nach wie vor mit wenigem bescheiden mussten. Aber immerhin hatten sie die schlimmste aller Seuchen überlebt.
»Wenn wir jetzt auch noch den Winter überstehen, wird alles wieder gut«, lenkten sie ihre Gedanken mehr oder weniger optimistisch in die Zukunft.
Um aber aus der immer noch trostlosen Gegenwart in eine bessere Zukunft entfliehen zu können, mussten sie von irgendwoher Nahrung und Brennmaterial bekommen. Da nutzte es ihnen auch nicht viel, wenn sie jetzt ziemlich sicher sein konnten, dass die Pestilenz endgültig aus Staufen gewichen war und die Bevölkerung nicht weiter dezimieren würde. Obwohl das ›Endt der elendiglichen Saich‹ in Staufen mittlerweile auch noch vom gräflichen Oberamtmann Speen schriftlich bestätigt worden war, nachdem sich eine ärztliche Prüfungskommission nach Staufen gewagt hatte, würde die Angst wohl für immer bleiben. In einem Sendschreiben hatte Speen dem Kastellan aufgetragen, die Bevölkerung Staufens davon zu unterrichten, dass die Pest von Amts wegen als erloschen galt und dass dementsprechend auch die Straßensperre nach Immenstadt mit sofortiger Wirkung aufgehoben war. Somit konnten sich die Staufner jetzt wieder frei bewegen.
Gleich nachdem Ulrich Dreyling von Wagrain vor fünf Tagen aus dem Oberschwäbischen zurückgekehrt war, hatte ihn Nepomuk über Lodewigs Heimkehr informiert und über dessen schlechten Gesundheitszustand aufgeklärt. Noch bevor der aus allen Wolken gefallene Kastellan nach seiner Frau gesehen hatte, war er in Lodewigs Kammer gegangen, wo er sich vom noch schlechteren Zustand, als ihm dies Nepomuk gesagt hatte, überzeugt hatte. »Hauptsache, er lebt!«, hatte er dankbar in Richtung Himmel gesagt und war zu Konstanze geeilt. Danach hatte er sich in die Schlosskapelle begeben, um für die Gesundheit seines Sohnes und seiner Frau zu beten. Dabei hatte er nicht vergessen, dem Schöpfer für Lodewigs Auffinden und Heimbringen durch Fabio zu danken und drei Kerzen entzündet.
Trotz des familiären Dramas musste sich der Kastellan wieder um seine Arbeit kümmern, weswegen er trotz des schlechten Wetters nach Thalkirchdorf geritten war, um sich persönlich vom Abzug der Königsegger Wachsoldaten zu überzeugen. Außerdem wollte er sowieso nach Immenstadt, um bei Speen unbürokratische Soforthilfe für die getreuen Untertanen des Grafen einzufordern. Dabei nutzte er gerne die Gelegenheit, mit den Soldaten im Tross zu reisen – sicher war sicher!
Gerne hätte er Nepomuk mitgenommen, um ihn bei dieser Gelegenheit dem Oberamtmann und dem Stadtammann vorzustellen. Aber das war nicht möglich, weil sich Nepomuk um Lodewig kümmern musste. Propst Glatt konnte auch nicht mitreiten. Er hatte kein Pferd und wollte – solange der Weinvorrat im Schloss ausreichte – Lodewig priesterlichen Beistand leisten. »Er wäre nicht der Erste, der ohne die Heiligen Sakramente stirbt«, hatte der Priester als Argument für sein im Grunde genommen nicht mehr notwendiges Ausharren ins Feld und dabei den Weinbecher genüsslich zum Mund geführt.
*
Lodewigs Gesundheitszustand war tatsächlich immer noch äußerst bedenklich. Deshalb wartete
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