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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Schlossverwalter aus, der mutig genug ist, forsche Forderungen an das Oberamt zu stellen«, lästerte Speen spaßeshalber, während er schon nach seinem Sekretär klingelte und ihm auftrug, eine neue Decke zu bringen.
    Die Folge dieses von tiefem Vertrauen geprägten Gespräches war, dass Speen dem umsichtigen Schlossverwalter versprach, ihn schon in zwei Tagen mit einigen Ladewagen voller Lebensmittel, Wolldecken und Brennholz heimzuschicken.
     
    *
     
    Die Staufner konnten es nicht fassen, als Hauptmann Benedikt von Huldenfeld und der Kastellan mit einem Teil der gräflichen Leibgarde sieben von starken Rössern gezogene Ladewagen in den Ort eskortierten. Da die Fuhrwerke mehr als voll beladen waren und der Schnee mittlerweile kniehoch lag, war es einem üblichen Gespann, das nur aus zwei Pferden bestand, nicht zuzumuten, einen der schweren Wagen zu ziehen. Deswegen hatte der Marstallleiter als Zugpferde die kräftigsten Rösser der gräflichen Stallungen ausgewählt und die eher selten gebrauchte Einhorn-Anspannung angeordnet. So hatten sie es trotz des tiefen Schnees geschafft, wagenweise Brennholz, säckeweise Mehl und Salz, fertig gebackenes Brot, zentnerweise Pökelfleisch, Hunderte von Eiern, etwas Käse, Gemüse, Dörrobst und was weiß der Himmel noch alles nach Staufen zu transportieren. Sie hatten sogar auch noch sieben Dutzend gackernde Hühner mit genügend Hähnen als Grundlage für einen Neuanfang dabei. Der Kastellan hatte den Gardehauptmann gefragt, ob er ernsthaft glaube, dass das Geflügel die Weihnachtsfeiertage überlebe, um sich vermehren zu können.
    »Ihre Freude daran dürften sie noch haben, ob sie es allerdings abwarten können, dass auch Küken daraus werden, bezweifle ich«, antwortete von Huldenfeld lachend, ergänzte aber noch sachlich, dass dies so ziemlich egal sei, weil der Oberamtmann den Vorschlag des Kastellans aufgenommen habe und bereits mittels Sendschreiben, die Boten mehrmals wöchentlich nach Konstanz oder zurück nach Immenstadt brachten, mit dem Grafen in Kontakt stehe. Das Ergebnis dieser vorweihnachtlichen Korrespondenz sei, dass der Regent gleich zu Anfang des neuen Jahres einen Notplan in Bezug auf das Überleben der Staufner Bevölkerung über den Winter hinweg und eine ›Conception für einen geordnedt Wiederauffbau‹ erstellen lassen wollte. Diesbezüglich bat der schneidige Offizier den Kastellan im Auftrag des Oberamtmannes, zu gegebener Zeit auf seine Mithilfe zurückgreifen zu können. Zunächst aber müsse der Staufner Ortsvorsteher dafür sorgen, dass die dringend benötigten Lebensmittel, die wärmenden Decken und das Holz gerecht verteilt würden.
     
    *
     
    Konstanze ging kaum noch vom Fenster weg. Gestern schon stand sie – in ein großes, grob gehäkeltes, aber dennoch wärmendes Tuch gehüllt – stundenlang davor und ließ es sich auch nicht nehmen, zwischendurch nachts aufzustehen, um an dem, was sie sah, ihr Herz zu erfreuen. Fast dankbar blickte sie auf den Marktflecken hinunter, während sie immer wieder Eginhards Kommen und Lodewigs Gesundung herbeizubeten versuchte. In Bezug darauf, dass ihr mittlerer Sohn hatte gefunden werden sollen, war ihr Flehen bereits erhört worden. Wenn der Herr ihr jetzt auch noch diese beiden Wünsche erfüllen würde, konnte sie sich vorstellen, trotz Diederichs Tod ihren eigenen Lebenswillen wiederzufinden. Sicher, ihr Enkelkind konnte Diederich nicht ersetzen, vermochte es aber dennoch auf eine fast mystische Art, sie immer wieder an ihre vornehmliche Aufgabe als Mutter – und jetzt auch als Großmutter – zu erinnern. Da Konstanze wusste, dass sie gebraucht wurde, war sie glücklich über das, was sie jetzt gerade sah. Sie hoffte, dadurch die nötige Kraft zu bekommen, um wieder ganz für ihre Familie da sein zu können.
    Die armen Dörfler mussten noch mehr mitmachen als ich und sind auch nicht verzagt. Für sie geht das Leben weiter … und seit gestern ist es für sie wieder lebenswert, sinnierte sie. »Also reiß’ dich zusammen, Konstanze«, gab sie sich selbst so laut den Befehl, dass es Ulrich, der zufällig in der Nähe stand, hörte.
    Er ging zu ihr und legte wortlos einen Arm um sie, während auch er seine Augen schweifen ließ. Aber nicht nur die beiden, auch die anderen Schlossbewohner konnten sich vom Blick aufs Dorf kaum lösen. Seit gestern bot sich ihnen ein ungewöhnliches, ein lange nicht mehr gesehenes Bild, das sogar den Propst und den Mönch dazu veranlasste, Lodewig ans Fenster zu

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