Der Peststurm
Nepomuk sehnlichst auf Eginhards Heimkehr. Er brauchte unbedingt dessen Hilfe und seinen medizinischen Beistand. Der Propst war ihm bei Lodewigs Pflege keine allzu große Hilfe und Konstanze war wegen der Sorge um Eginhards Reise von Bregenz nach Staufen momentan gar nicht zu gebrauchen.
Letztes Jahr war Eginhard um diese Zeit längst da gewesen. Aber jetzt verzögerte sich seine Heimkehr wahrscheinlich wegen des plötzlichen Wintereinbruchs. Alle im Schloss machten sich Sorgen, nicht nur Konstanze, die derart neben sich stand, dass Nepomuk und Sarah schon froh waren, wenn sie es schaffte, sich um ihr Enkelkind zu kümmern. Sarah wich nämlich nur von der Seite ihres Mannes, wenn sie das Kind stillen musste. Sie half Nepomuk, so gut sie konnte, Lodewigs Wunden mehrmals täglich zu reinigen, zu salben und frisch zu verbinden. Eine wahrhafte Knochenarbeit, die einer allein kaum bewältigen konnte. Dazu kamen noch vielerlei andere Arbeiten wie die regelmäßige Herstellung verschiedener Kräutersude, das ständige Auskochen des Verbandsmaterials und vieles mehr. Das Schlimmste aber war, dass sich etliche der offenen Wunden immer wieder aufs Neue entzündeten und eiterten. Dadurch blieb nicht nur das Verbandsmaterial auf den Wunden haften, sondern verklebte auch noch mit dem Leinenbezug des Strohlagers. Wenn Lodewig zu lange auf einer Stelle lag, trocknete das Sekret auch noch ein und war nur sehr schlecht von den immer noch zahlreich offenen Schnitten und Rissen zu lösen. Dementsprechende Schmerzen musste der junge Mann jedes Mal ertragen, wenn er von Nepomuk und Sarah auf eine andere Seite gedreht oder zur Nahrungsaufnahme aufgerichtet wurde.
Rosalinde war in der Küche beschäftigt und Judith kümmerte sich um Konstanze. Diese war zwar körperlich wieder so weit bei Kräften, dass man sich diesbezüglich momentan keine Sorgen um sie machen musste, seelisch aber ging es ihr so schlecht wie nie zuvor, obwohl sie in ihrem Leben schon viel Leid ertragen hatte. Dass sie vor ungefähr 18 Jahren eine Fehlgeburt gehabt hatte und schon ein knappes Jahr später ihre kleine Tochter Maria Theresa in ihrem ersten Lebensjahr verstorben war, kam ihr jetzt natürlich ständig in den Sinn. Damit sie auf keine dummen Gedanken kommen konnte, war Judith stets in ihrer Nähe und beschäftigte sie – wenn der Kleine gerade schlief – damit, dass sie sich von ihr irgendeine Geschichte vorlesen ließ. Dass sie aufgrund von Jakobs Tod selbst Trost benötigte, verdrängte die Jüdin tapfer. Dabei half ihr, dass sie sich im Kreise ihrer neuen Familie sehr geborgen fühlte. Und wenn ihr zwischendurch die Gefühle durchzugehen drohten, nahm sie einfach ihr Enkelkind auf den Schoß oder spielte mit Lea – das half immer, denn ihre Tochter lebte! So vergingen die Tage im Schloss, in dem man weniger auf Weihnachten als auf Lodewigs Genesung und Eginhards Rückkehr wartete.
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Ulrich Dreyling von Wagrain war zwar völlig durchnässt, aber heil in Immenstadt angekommen und hatte sich wunschgemäß mit Oberamtmann Speen in dessen Schreibstube getroffen. Es war schon ein ungewöhnliches Bild, als der stolze Adlige dem Oberamtmann, nur mit einer Bruche gewandet und einer Schafwolldecke über dem Oberkörper, gegenübersaß, während seine patschnassen Sachen vor dem knisternden Kaminfeuer trockneten. Zwischen den beiden hatte sich im Laufe der Jahre, insbesondere aber während der letzten Krisenzeiten, eine Art Freundschaft entwickelt, weswegen zwischen den Männern ein vertrauter Umgangston herrschte. Nichtsdestotrotz trug der Kastellan sein Anliegen mit der gebührenden Förmlichkeit vor. Er appellierte an den Oberamtmann, dem immer noch in Konstanz weilenden Landesherrn vorzuschlagen, er möge sich etwas einfallen lassen, um langfristig neuen Lebensmut unter die gebeutelte Bevölkerung Staufens zu bringen. Da aber die momentane Kälte und die akute Hungersnot vordringliche Probleme waren, sprachen sie hauptsächlich darüber, wie den Staufnern am schnellsten und am effizientesten geholfen werden konnte. Dass der Kastellan dabei forsch auftrat, obwohl sich seine Füße gerade in einer Schüssel mit heißem Wasser erholten, tat dem Erfolg seines Ansinnens offensichtlich keinen Abbruch. Jedenfalls schüttelte sich der Oberamtmann vor Lachen, als der große Mann aufstand, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, während ihm dabei die Decke herunterrutschte und auch noch in die Wasserschüssel fiel.
»Ja, so sieht ein gestandener
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