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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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dass Lodewig nichts mit der Schändung und dem Tod der Frau zu tun hatte und ihr lediglich hatte helfen wollen, ging Nepomuk nicht weiter darauf ein. Die Kirchenbesucher mochten jetzt auch nicht an den Medicus und den Totengräber, die sie an die schrecklichsten Jahre ihres Lebens erinnerten, oder an den Schmied und seinen missratenen Sohn denken. Da war ihnen der Inhalt der Predigt schon lieber. Gerade ein Punkt, den der Pfarrherr ausführlich thematisierte, gab ihnen den jetzt so nötigen Halt: die Hoffnung!
     
    Nachdem der Segen Gottes über seine Schäflein gekommen und das Schlusswort gesprochen war, bat der Propst die Kirchenbesucher, noch hierzubleiben, da ihnen Ulrich Dreyling von Wagrain sowohl persönlich als auch in seiner Eigenschaft als Erster Mann des Dorfes etwas mitzuteilen habe. Obwohl es die Menschen jetzt nach Hause drängte, weil sie sich dort seit langer Zeit endlich wieder einmal in einer warmen Stube ihre Bäuche, wenn schon nicht vollschlagen, so doch ausreichend füllen konnten, während sie nebenbei der Verstorbenen gedenken und sich im Scheine weichen Kerzenlichtes ein klein wenig des Weihnachtsfestes erfreuen mochten, verharrten sie noch und bildeten still eine Gasse, um den Kastellan durchzulassen. Man hörte nur noch das Knarzen der Holztreppe, als der groß gewachsene Mann in vollem Dienstornat, auf dem er auch noch die Silberkette mit dem aufwändig emaillierten gräflichen Rautenwappen als Zeichen seines hohen Ranges in Diensten des Grafen zu Königsegg trug, zur Kanzel emporstieg. Oben angekommen, blickten ihn alle Augenpaare, die in letzter Zeit so viel, zum Teil auch selbst verursachtes Grauen gesehen hatten, erwartungsvoll an.
     
    Der an diesem Tag besonders imposant wirkende Mann ließ sich Zeit und schaute lange in die Runde, bevor er mit seiner Rede begann: »Wir begehen heuer nun schon zum zweiten Mal hintereinander eine traurige Weihnacht. Waren es im vergangenen Jahr 69 der Unsrigen, die unverschuldet dem ruchlosen Morden des Medicus zum Opfer fielen, müssen wir in diesem Jahr eine viel höhere Zahl von Verwandten und Freunden betrauern.
    Wenn sich unser ehrwürdiger Herr Pfarrer nicht verzählt hat, sind es genau 706 Menschenleben, die von der Pest ausgelöscht wurden. Das sind zwei Drittel der Staufner Bevölkerung.«
    Nachdem er dies gesagt hatte, ging wieder ein Raunen durch die Kirche.
    »Ich weiß, dass in fast jeder Familie tiefe Trauer Einzug gehalten hat und möchte hier nicht nur die Vergangenheit heraufbeschwören, sondern auch in eine hoffentlich gute Zukunft blicken.«
    Er schaute zu seiner Frau hinunter und schnaufte tief durch.
    »Auch wenn meine Familie von der Pest verschont geblieben ist, so tragen wir ebenfalls Trauer. Mein jüngster Sohn Diederich und, wie wir heute wissen, auch Otward und Didrik, die beiden Söhne von Hannß und Gunda Opser, sind sinnlose Opfer des Totengräbers Ruland Berging geworden, weswegen die Blaufärber der letztjährigen Christvesper nicht beiwohnen konnten. Umso mehr freut es mich, dass sie jetzt unter uns weilen.«
    Während der Kastellan die Blaufärber auszumachen versuchte, begannen einige Kirchenbesucher zu klatschen, andere aber laut zu protestieren, während sie ihre geballten Fäuste hochstreckten. Als dies der Kastellan mitbekam, sagte er etwas anderes, als er den Staufnern eigentlich hatte mitteilen wollen: »Reißt euch zusammen. Auch wenn in diesem Raum ebenfalls Unvorstellbares geschehen ist, so ist und bleibt es ein Haus Gottes, in dem ihr euch zu benehmen und keine Fäuste zu ballen habt!«
    Da die Menschen ahnten, worauf der Kastellan anspielte, schwiegen sie betreten. Man sah jetzt keinen einzigen Arm mehr, der sich drohend der Kirchendecke entgegenstreckte.
    »Es war weder der Medicus noch ist es der Totengräber, der den Tod von Jakob Bomberg zu verantworten hat … «, kam er zum Punkt dessen, was er sagen wollte. »Vielmehr ist er ein Opfer der allgemeinen Hysterie und des Hasses geworden, durch den etliche von euch verblendet waren.«
    Viele der Zuhörer – in erster Linie Männer – senkten beschämt ihre Köpfe, während der Kastellan wieder in Richtung seiner Frau und zu Jakobs Witwe und ihren beiden Töchtern blickte.
    Er ließ sich Zeit, bevor er weitersprach: »Die Bombergs gehören jetzt zu meiner Familie, und ich bitte alle Staufner, dies zu respektieren, … auch wenn Judith Bomberg in Erinnerung an ihren verstorbenen Mann nach wie vor dem mosaischen Glauben angehören möchte. Aber es gibt

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