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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Bombergs errichten würden, sobald der Winter vorüber wäre – und falls der Graf das Holz hierfür zur Verfügung stellen sollte. Lauter Jubel brandete auf, als er die Menschenmenge fragte, ob dies im Sinne aller sei.
    Während Lea ihre Mutter am Ärmel zu sich herunterzog, um die Neuigkeit zu repetieren, suchten sich ein paar Tränen ihren Weg und kullerten Judiths Wangen hinunter. Aber sie riss sich zusammen, fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, löste sich von Konstanze und ging so stolz erhobenen Hauptes auf die drei Männer zu, dass diese sogar einen Schritt zurückwichen.
    »Wir brauchen kein neues Haus, … schon gar nicht mit eurer Hilfe«, stellte Judith trotzig klar, weil sie seit ein paar Tagen wusste, dass sie mit Sondergenehmigung des Immenstädter Oberamtes fortan im Schloss wohnen durfte, bevor sie das aussprach, was sie loswerden wollte: »Obwohl meine ganze Familie euch überhaupt noch nie etwas getan hat, habt ihr unser Zuhause in Brand gesteckt und seid feige zurückgewichen, als es lichterloh gebrannt hat. Mein Mann Jakob konnte sich nicht vor euch in Sicherheit bringen. Dies habt ihr nicht zugelassen. Er musste tapfer sein, um unsere kleine Tochter zu schützen.« Sie zeigte auf Lea. »Letztendlich war es dieses unschuldige kleine Ding, das seinen Vater vor euch behüten wollte und durch eure Schuld übermenschliches Leid ertragen musste. Ich danke Gott, dass sie dies überlebt hat! Mir ist es einerlei, welcher Gott meine Tochter davor bewahrt hat, zusammen mit ihrem Vater und unserem Haus zu verbrennen«, sagte sie trotzig und fast etwas provozierend. Judiths stechender Blick, der von einem zum anderen der Männer hin und her wanderte, verunsicherte nicht nur die drei, die ihren Blicken nicht lange standhalten konnten, weswegen sie wieder ihre Häupter senkten.
    Was passiert jetzt?, fragten sich wohl alle Umstehenden. Aber es geschah so lange nichts, bis Judith jedem der drei Männer – ohne eine Miene zu verziehen – die Hand reichte.
    Laut, an alle gewandt, sagte sie zu jenen, die sich an ihrer Familie schuldig gemacht hatten, dass sie ihnen verzeihe, versäumte es aber nicht hinzuzufügen, dass jeder sich deswegen dereinst allein vor seinem Schöpfer zu verantworten habe. Als dies die Gläubigen vernahmen, schauderte es sie, und nicht wenige von ihnen bekamen Gänsehaut. Manche begannen, verschämt zu schluchzen, andere schlugen das Kreuzzeichen oder fingen wieder zu beten an. So einen erhebenden Moment hatten sie in ihrem ganzen Leben bisher nur ein einziges Mal miterleben dürfen: bei der letztjährigen Christvesper, als sie wegen der seinerzeit hinter ihnen liegenden Kräutermordserie mit ihren ineinander verschlungenen Händen vom Altar bis zum Hauptportal und sogar auch noch bis auf den Kirchplatz hinaus eine Menschenkette gebildet hatten. In Erinnerung daran bückte sich einer der drei Männer zu Lea hinunter und reichte ihr die Hand, die das Mädchen aber erst ergriff, nachdem ihr die Mutter zustimmend zugenickt hatte. Als dies die Gläubigen sahen, vollzog sich um Judith herum das gleiche Solidaritätsritual wie im Vorjahr.
    Um diese ›Kette des Verzeihens‹ aufzulösen, trennte sie der Kastellan, indem er Judith und Konstanze umarmte, bevor er sich zu Lea hinunterbückte, ihr mit dem Zeigefinger auf das Näschen stupste und sagte: »Du bist ein tapferes Mädchen.«
    Danach kehrte er auf die Kanzel zurück und sorgte jetzt für Ruhe, indem er eine Pergamentrolle mit gräflichem Siegel in die Höhe hielt.
    »Aha! Jetzt kommt’s doch noch«, flüsterte einer seinem besorgten Nachbarn ins Ohr. »Deswegen hat er sein Dienstornat an.«
    Aber er bekam nur ein »Schh! Halt’s Maul!« zur Antwort.
    Als Ulrich Dreyling von Wagrain abermals das Wort ergriff, war es wieder still geworden: »Bevor ich dieses Schreiben unseres Hochwohlgeborenen Herrn verlese, möchte ich euch allen mitteilen, dass es die Geschäfte unseres verehrten Grafen zwar noch immer nicht zulassen, von Konstanz heimzukehren, er aber bereits an einem Nothilfekonzept arbeiten lässt, das schnellstmöglich umgesetzt werden soll. – Ihr hört also, dass euch unser geliebter Landesherr nicht im Stich lässt.«
    Jetzt flogen Hüte und Kappen durch die Luft. Die Menschen jubelten ihrem Gebieter, den sie in der letzten Zeit im Stillen oft verwünscht hatten, zu, während der Propst die Augen verdrehte. »Von wegen Geschäfte«, flüsterte er seinem geistlichen Mitbruder ins Ohr.
    »Und jetzt komme ich zur Verlesung

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