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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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erfahren hatten. Da der Grund für die hektische Flucht ein Gerücht, dass in Scheidegg und in anderen Orten die Pest grassieren würde, sein sollte, konnten sie die Entscheidung ihres Herrn einerseits verstehen, hofften andererseits aber, dass er sich besinnen, in Zeiten der Not endlich einmal zu ihnen halten und an ihrer Seite bleiben würde, anstatt sich aus Angst vor der Pest ständig nach Konstanz abzusetzen. Seit die letzte Pestwelle vor sieben Jahren in der Residenzstadt gewütet hatte, ging es den Untertanen landauf, landab zunehmend schlechter. Abgesehen von der nagenden Hungersnot, die das ganze Land überzog, wurden auch noch die Forderungen der kaiserlichen Truppen ständig unverschämter – es wurden immer höhere Zahlungen gefordert, um die Katholiken im Krieg gegen die verhassten Protestanten zu unterstützen.
    »Wo nichts ist, kann man auch nichts holen«, schrie Speen dem kaiserlichen Kommissär mutig ins Gesicht, als dieser wieder einmal Kriegsgeld fordern wollte. Der ranghöchste Beamte des Grafen riskierte damit, eingekerkert, ausgepeitscht oder gar exekutiert zu werden. Ihm geschah zwar nichts, allerdings nützte sein Mut auch niemandem. Da kein Geld da war, konfiszierte der Kommissär kurzerhand alles, was ihm irgendwie verwertbar erschien. Als er die Räume des Schlosses durchsuchen ließ und nichts fand, da das gesamte Tafelsilber, das Porzellan, die Gemälde, Gobelins, Kerzenleuchter und andere Wertgegenstände schon gleich nach der Abreise der gräflichen Familie vor zwei Wochen in Sicherheit gebracht worden waren und die Lagerräume im Schlosskeller sich an gut versteckter Stelle befanden, drohte die Situation fast zu eskalieren. Speen führte aber das glaubhafte Argument ins Feld, dass die Schweden schon hier gewesen seien und alles geplündert hatten. Zum Beweis knallte er eine Muskete, die zwar nicht aus Schweden stammte, was aber niemand wusste, drei mit schwedischen Regimentswappen ziselierte Stichwaffen, ein paar unter flämischer Aufsicht in Schweden hergestellte ›Holländische Töpfe‹ – typische Infanteriehelme, wie sie in der Armee Gustav Adolfs Usus waren, andere Rüstungsteile und sogar eine Standarte des General-von-Horn’schen Regimentes auf den Tisch, die laut seiner Aussage im Scharmützel verloren gegangen sein mussten oder einfach vergessen wurden. Woher der ausgebuffte Fuchs Speen diese Militaria hatte, wusste nicht einmal Stadtammann Zwick, der nur mühsam sein Grinsen verbarg.
    Jedenfalls zeigten die schwedischen Stücke Wirkung und unterstrichen die Notlüge des Oberamtmannes. Außerdem war dem Kommissär bekannt, dass weite Teile des Allgäus seit der Rückeroberung des fürstäbtlichen Kempten und anderer Städte vor knapp einem Jahr wieder fest in schwedischer Hand waren, zumindest aber stark unter den Lutherischen gelitten hatten. Warum also nicht auch das katholische Immenstadt? So konzentrierten sich die Schergen des Kommissärs auf die Bürgerhäuser. Um der Bevölkerung die Gelegenheit zu nehmen, jetzt auch noch das, was sie nicht sowieso schon beiseite geschafft hatten, schnell verstecken zu können, ließ er seine Männer auf einen Schlag ausschwärmen und alle Häuser innerhalb der Stadtmauer gleichzeitig durchsuchen. Wenn die Soldaten in einem Haus überhaupt keine materielle Beute machten, hielten sie sich eben an den Frauen und Töchtern des Hauses umso schadloser.
    Nachdem die Aktion endlich beendet war und die Kriegsbeute auf mehreren Tischen in einem leerstehenden Raum des Schlosses lag, wunderte sich der kaiserliche Kommissär, dass doch noch so viel zusammengekommen war. »Na also, es geht doch«, bemerkte er zufrieden grinsend, während er sich seelenruhig seine tönerne Pfeife stopfte.
     
    Obwohl die Stadtbewohner an ihren monetären Werten hingen, traf es sie noch mehr, dass die Kaiserlichen auch die meisten der sowieso schon wenigen Nutztiere mitnahmen, die sie bei einfacheren Leuten in Pflege gegeben hatten. Unabhängig von anderen Allgäuer Orten, die schon lange vor Ausbruch des Krieges viel Leid hatten erfahren müssen, herrschte jetzt auch in der Residenzstadt große Not. Davon, dass sich die Gustav Adolf unterstützenden Protestanten beeilten, in Prag ihren Frieden mit dem Kaiser zu machen, merkte man hier nichts. Im Gegenteil: Es sah eher so aus, als wenn sich die dritte Stufe dieses verdammten Krieges noch über Jahre hinziehen würde. Jedenfalls ging im Allgäu immer noch alles drunter und drüber, mehr, als dies bisher der Fall

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