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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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genommen. Den anderen konnte dies nichts mehr anhaben, da sie dem Anschein nach schon tot waren.
    Obwohl ich nicht mehr gewusst habe, ob mich jetzt überhaupt noch die Hoffnung, Christine hier zu finden, antreiben soll, habe ich alle genau betrachtet. Um auch in das Gesicht der querliegenden Person blicken zu können, musste ich sie umdrehen. Dabei bin ich über die anderen hinweggestiegen und bin erst in diesem Moment des süßlich-beißenden Geruches gewahr geworden, der zum sowieso schon starken Kot-, Urin- und Fäulnisgestank dazukam. Ich habe meine Lungen nur einmal mit diesem ekelerregenden Luftgemisch gefüllt und erst wieder ausgeschnauft, nachdem ich die Person auf den Rücken gedreht und nach draußen geschleift habe, weil ich sofort erkannt habe, dass es tatsächlich Christine war. Endlich hatte ich sie gefunden. Sie hat zwar noch gelebt, war aber ohne Bewusstsein und überdies in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Schweden haben sie offensichtlich ganz einfach auf die anderen geworfen, nachdem sie mit ihr fertig waren.«
    Der Schäfer hustete und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
    »Sie ist nur ein paar Herzschläge später in meinen Armen gestorben. Gedemütigt, geschändet … und ohne Nase. Da ich nichts mehr für sie tun konnte und fürchten musste, dass die Schweden zurückkommen, habe ich nur noch ein kurzes Gebet gesprochen, sie zugedeckt und mich mit meinen Tieren schnellstens in Richtung Staufen aufgemacht.«
    Der Bauer tätschelte dem Schäfer unbeholfen den Arm: »Es tut mir leid. Aber sag mir: Wohin sind die Schweden gezogen?«
    Der Schäfer zeigte nach Westen.
    »Gott sei gepriesen! Nicht hierher, sondern in die andere Richtung.«
    »Das muss nichts heißen«, murmelte der Schäfer so leise, dass es sein Gegenüber nicht verstehen konnte. Da sich der Bauer um den Schäfer sorgte und merkte, dass sich dieser kaum noch auf den Füßen halten konnte, nahm er ihn mit zu seinem gepflegten Hof.
    »Otto treibt meine Schafe gerade ein Stückchen weiter zur oberen Weide. Also haben deine Schafe auf dem Galgenbihl genügend Platz und zudem saftiges Futter. Und dein Hund wird sie bewachen. Außerdem werde ich nach ihnen sehen. Du kannst dich also getrost eine Zeit lang bei mir ausruhen, um wieder zu Kräften zu kommen.«

Kapitel 10
     
    Knapp zwei Wochen war es her , dass Reichsgraf Hugo zu Königsegg-Rothenfels nach langem Aufenthalt in Konstanz in seine Allgäuer Heimat zurückgekehrt war und seinem kleinen Gefolge den Befehl gegeben hatte, auf direktem Weg nach Immenstadt weiterzureisen, um nur mit seiner Gemahlin Maria Renata, ihren Leibdienern und ein paar Wachsoldaten einen kleinen Abstecher in sein Schloss Staufen zu machen. Da er ganz in der Nähe gewesen war, hatte er die Gelegenheit nutzen wollen, seinen getreuen Schlossverwalter Ulrich Dreyling von Wagrain zu besuchen und im Schloss Staufen nach dem Rechten zu sehen.
    Um wieder auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, hatte er von ihm einen ausführlichen Bericht über all die unglaublichen Geschehnisse des vergangenen Herbstes erwartet und auch erhalten.
     
    *
     
    Dies war zwei Wochen her. Seit er in seinem Immenstädter Schloss ein fulminantes Begrüßungsfest gegeben hatte, war sogar erst eine knappe Woche vergangen, und obwohl sich die Dringlichkeiten im Arbeitszimmer des Grafen stapelten und es von äußerster Wichtigkeit gewesen wäre, seine Grafschaft vor geordneten Truppen und marodierenden Söldnerhaufen zu schützen oder andere Aufgaben wahrzunehmen, hatte er samt seiner Gemahlin und der gesamten Dienerschaft in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai Immenstadt Hals über Kopf schon wieder verlassen, um doch nach Konstanz zurückzukehren. Obwohl niemand auch nur annähernd wissen konnte, was der Grund dafür gewesen war, hatte sich die übereilte Abreise der Erlauchten wie der Blitz im gesamten Herrschaftsgebiet herumgesprochen.
    Nur in Staufen hatte das Volk noch nichts davon mitbekommen und rüstete sich eifrig für die Hochzeit, die in zwei Tagen stattfinden sollte und zu der das erlauchte Paar, sowie das Ehepaar Speen erwartet wurden. Wenn auch die Braut eine ehemalige Jüdin aus dem Volk war und nicht auf adlige Abstammung verweisen konnte, so war doch immerhin der Bräutigam von Stand.
     
    *
     
    Oberamtmann Speen und Stadtammann Zwick waren über die überstürzte Abreise ihres Regenten ebenso erschüttert wie alle anderen weltlichen und geistlichen Würdenträger des rothenfelsischen Landes, die inzwischen davon

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