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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Ellhofen und Lindenberg niedergebrannt haben, bevor sie ihren tödlichen Radius ausgeweitet haben. Am 28. Februar – ich glaube, es war gegen Ende der Fasnachtszeit – haben die schwedischen Horden in Scheidegg die Kirche angezündet und bis auf drei Anwesen alle Häuser niedergebrannt, wobei 16 gottesfürchtige Menschen ums Leben gekommen sind. Und Scheidegg war nicht der einzige Allgäuer Ort, den es so hart getroffen hat.«
    »Nur Staufen ist wie durch ein Wunder verschont geblieben«, warf der Bauer ein, worauf sich die beiden bekreuzigten.
    »Ja«, sagte der Schäfer. »Aber jetzt sind die Schweden wiedergekommen, und es bleibt nur zu hoffen, dass sie Staufen erneut verschonen.«
    Der Bauer bekreuzigte sich – dieses Mal ängstlich – und wartete ab, bis der Schäfer ausgehustet hatte, bevor er ihn weiter berichten ließ: »In Scheidegg haben sie gebrandschatzt, gestohlen und vergewaltigt.«
    »Heilige Jungfrau Maria! Wann war das?«
    »Erst vorgestern! Als ich ahnungslos ins Dorf gehen wollte, hätten sie mich fast gesehen. Aber ich konnte mich gerade noch rechtzeitig hinter einer Geländekuppe ducken und beobachten, was passierte. Offensichtlich war der schwedische Trupp erst kurz vor mir in Scheidegg eingetroffen. Jedenfalls habe ich gesehen, wie sie die ersten Häuser angesteckt und mit ihren Grausamkeiten begonnen haben. Es war unbeschreiblich schrecklich. Das willkürliche Abschlachten der Menschen im letzten Jahr war ihnen dieses Mal nicht genug.«
    Der Schäfer hustete wieder und würgte ein blutiges Etwas heraus, das er seitlich auf den Boden spuckte.
    »Sie haben dieses Mal die Männer nur zusammengetrieben und – bis auf wenige Ausnahmen – nicht umgebracht, dafür aber durchweg alle Weiber geschändet, wobei sie auch nicht vor den ganz jungen Dingern Halt gemacht haben. Die Schweine haben nicht einmal auf die alten Vetteln Rücksicht genommen … und ihnen danach allensamt die Nasen abgeschnitten.«
    »Was haben die getan?«, fragte der Bauer, der glaubte, sich verhört zu haben.
    »Ja, ja. Du hast schon richtig gehört: Die Bastarde haben allen Weibern die Nasen abgeschnitten!«
    Der Bechtelerbauer spuckte angewidert auf den Boden.
    Während der Schäfer weiter von den Gräueltaten der Schweden berichtete, sackte er in sich zusammen und kniete nun, auf seinen Stab gestützt, schluchzend auf dem Boden, von wo ihm der freundliche Bauer wieder hochhalf und ihn zu trösten versuchte. »Was ist mit dieser Christine?«, fragte er den Schäfer.
    »Ich musste stundenlang still verharren, das Gegröle während der Schändungen und das herzerweichende Geschrei mit anhören … , und was ich dabei zu sehen bekommen habe, war das Schrecklichste in meinem ganzen Leben. Als die Schweden endlich weg waren, habe ich ein Weilchen gewartet und bin dann ins Dorf geschlichen. Ich musste nun – ob ich wollte oder nicht – das ganze Elend aus der Nähe sehen. Wie gesagt: Sie haben allen Weibern die Nasen abgeschnitten … und als Trophäen auf ihre Hellebarden gespießt. So habe ich in vielen Winkeln des Dorfes heulende und schreiende Geschöpfe Gottes, die Tücher auf die Stellen, an denen kurz zuvor noch ihre Riechorgane waren, gedrückt haben, gesehen. Alles war über und über voller Blut. Die Schmerzensschreie hallen mir immer noch in den Ohren und ich sehe ständig noch die vielen Hände, die sich mir hilfesuchend entgegengestreckt haben. Mir ist nur noch ein Gedanke durch den Kopf geschwirrt: Wo ist die brave Jungfrau Christine? Was ist mit ihr geschehen? Obwohl ich das ganze Dorf nach ihr abgesucht habe, war sie zunächst nirgendwo zu finden. Während meiner Suche – bei der ich in ständiger Angst war, dass die Schweden zurückkehren könnten – habe ich das Elend wieder und wieder hautnah mitbekommen. Irgendwann habe ich etwas außerhalb des Dorfes direkt neben dem Friedhof eine Hütte, auf deren Verschlag ein schlampiges Kreuz gemalt war, gesehen. Nachdem ich alle anderen Häuser, die nicht am Brennen waren, durchsucht habe und bei deren Bewohnern – falls dies überhaupt noch möglich war – erfolglos nach Christine gefragt habe, bin ich zu dieser Hütte geschlichen. Der Verschlag war weit geöffnet und hat etwas vom Tageslicht hineingelassen. Im Halbdunkel des Raumes habe ich schnell erkannt, dass mehrere Personen nebeneinander auf dem Boden gelegen sind und eine davon bäuchlings quer auf den anderen lag. Durch ihr Gewicht hat sie den beiden, die noch geschnauft haben, die letzte Luft zum Atmen

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