Der Peststurm
nicht mehr das Schlossgelände betreten durfte »… nur zur Sicherheit aller!«
»Aber dann ist er ja wieder Josen Bueb und seiner Meute ausgesetzt, die ihn letztes Jahr selbst richten wollten«, versuchte der besorgte Seelsorger, seinen Freund umzustimmen. Dabei hatte er noch allzu gut in Erinnerung, wie es dem ›Pater‹ gelungen war, Fabio einen Mord anzuhängen, indem er überzeugend, ohne mit der Wimper zu zucken, behauptet hatte, dass Fabio den Immenstädter Wachmann beim Markt mit einer Mistgabel erstochen habe.
»Die kämpfen jetzt mit anderen Problemen, als einen jungen Mann zu jagen und für etwas, was er überhaupt nicht getan hat, zu bestrafen. Wenn die merken, dass er der Hilfstotengräber ist, traut sich sowieso niemand mehr an ihn heran. Außerdem stehen die Räume des ehemaligen Dorfarztes in der Propstei immer noch leer. Somit hast du deinen Schützling in der Nähe. Du wirst doch keine Mühe haben, Fabio zu beschützen – oder, Johannes?«
Da Ulrich Dreyling von Wagrain nicht nur auf die Sicherheit seiner mittlerweile um vier Personen angewachsenen Familie bedacht war, sondern zudem die Aufgabe hatte, das Schloss in jeder Hinsicht sauber zu halten, mussten die Wachen sorgsam darauf achten, das Schlosstor ab sofort zu jeder Tages- und Nachtzeit von innen verriegelt und beide Balken in den Halterungen liegen zu lassen.
»In diesen unruhigen Zeiten weiß man nie, was passiert … oder wann der Graf wieder unangemeldet zu Besuch kommt«, bekräftigte er seinen Befehl, bevor er mit Lodewig und den Bombergs ins Dorf hinunterging, um in seiner Eigenschaft als Ortsvorsteher zu versuchen, die unwissenden Leute wenigstens einigermaßen über die Pest aufzuklären. Dabei ging er von Haus zu Haus, klopfte mit einem Stock an die Türen und verkündete – ein essiggetränktes Tuch vor Mund und Nase gebunden – von der Straße aus die wichtigsten Verhaltensregeln.
Wo und ob überhaupt seine Botschaft angekommen war, wusste er nicht, da sich kaum ein Fensterladen und schon gar keine Tür öffnete, obwohl die Glocke, die er sich vom Nachtwächter ausgeliehen hatte, unüberhörbar war. Die Menschen hatten eine Heidenangst vor der Pestilenz und ließen sich deswegen ums Verrecken nicht mehr aus ihren Behausungen locken.
*
Der Ort war wie leer gefegt. Man hörte nur das Holpern des Leichenkarrens, mit dem der Totengräber die soeben aufgeladenen Pestopfer vom Bechtelerhof durch Fabio auf den Pestfriedhof schaffen ließ. Da er selbst etwas anderes vorhatte, schickte er seinen Gehilfen voraus. »Wenn du dort unten angekommen bist, kannst du sofort damit beginnen, die Gräber auszuheben. Ich komme später nach«, trug er ihm auf. »Denn ich habe jetzt Wichtigeres zu tun«, murmelte er, für Fabio nicht hörbar, in seinen ungepflegten Bart hinein.
Indem die elf Leichen nachgewiesenermaßen gleich unter die Erde gebracht wurden, würde er später, bei einer eventuellen Befragung, unschwer beweisen können, dass er sich am Nachmittag nicht auf dem Schlossgelände, sondern auf dem Pestfriedhof, weit außerhalb Staufens und weit weg vom Schloss, aufgehalten hatte. Außerdem wusste niemand, dass er ein Schlupfloch in der Südmauer des Schlossgartens entdeckt hatte. Wüsste der Kastellan davon, dass es im Sicherheitssystem des Schlosses eine Lücke gab, hätte er sie längst schließen lassen. Doch der Garten war unangefochtenes Revier seiner Frau und er selbst kam höchst selten dorthin.
Der Totengräber sputete sich, um zum Schloss zu kommen. Da er wusste, dass sich weder der Kastellan noch Lodewig in der weitläufigen Anlage befinden würden, und zudem die Kastellanin krank auf ihrem Lager lag, wollte er die Gelegenheit nutzen, Diederich, den ersten der beiden Mitwisser des verhängnisvollen Gesprächs, das er mit dem damaligen Medicus auf dem Kirchhof geführt hatte, für immer zum Schweigen zu bringen. Damit man ihn nicht sehen würde, benutzte er nicht die offizielle Straße zum Schloss, sondern ging am ›Löwen‹ vorbei den Buckel bis zum Färberhaus hinunter und direkt hinter dem Entenpfuhl links den dicht bewaldeten Schlossberg hoch. Obwohl das südseitige Gelände außerhalb des Schlosses direkt an der Mauer steil abfiel, war noch genügend Platz, um dort ungesehen entlanglaufen zu können. Von hier aus kam man direkt zum westseitig des Schlosses gelegenen Wurzgarten, von dem eine kleine Treppe zum schmiedeeisernen Türchen ins Burginnere führte.
Wenn diese Tür auch heute geöffnet
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