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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ist, kann ich mich problemlos in den Schlosshof hineinschleichen und mich dort so lange verstecken, bis ich den kleinen Sohn des Kastellans sehe. Wenn es so weit ist, wird mir schon etwas einfallen, um ihn zu mir zu locken. Ich werde ihm den Mund zuhalten und ihn nach draußen schleifen, um ihn den steilen Hang hinunterstoßen zu können. Es wird aussehen wie ein Unfall, freute sich der Totengräber schon jetzt über seinen gewünschten Erfolg.
    Tatsächlich war das, in weiten Teilen angerostete, Türgitter unverschlossen und er konnte sich unentdeckt ins Innere der Schlossanlage schleichen. Jetzt musste er sich nur noch in Geduld üben und auf den Knaben warten. »Diederich«, murmelte er und verzog sein sowieso schon hässliches Gesicht zu einer Fratze.
     
    *
     
    Während sein kleiner Bruder in Lebensgefahr schwebte, saß Lodewig nichtsahnend bei den Bombergs zu Hause und berichtete ihnen gerade von der revolutionären Sache, von der ihm sein Vater und Eginhard schon vor längerer Zeit erzählt hatten. Um die Familie des Blaufärbers zu schützen, hatten sie bei ihrer Erzählung allerdings bewusst darauf verzichtet zu erwähnen, wo sie auf diese Kuriosität gestoßen waren. »Ich weiß nicht, in welchem Haus mein Vater und mein Bruder das Loch entdeckt haben, das voller Fressalien und Wertsachen war. Stellt euch vor, diese Leute haben mitten im Haus einfach ein Loch in die Erde gegraben.«
    »Und für was soll das gut sein?«, fragte Jakob stirnrunzelnd.
    »Na ja: Immerhin ist es ein gutes Versteck, in dem man sogar Lebensmittelvorräte anlegen kann. Laut meinem Vater sorgt der kühle Lehmboden dafür, dass sich die anfälligen Lebensmittel über einen längeren Zeitraum hinweg halten – auch im Sommer!«
    Während Judith schmunzelte, fand Jakob diesen Gedanken gar nicht mehr so dumm.
    »… und dann haben sie eine Art Falltür angebracht und einen Teppich daraufgelegt, damit das Versteck von niemandem entdeckt werden kann.«
    »Wer weiß?«, orakelte Jakob Bomberg, der Lodewig interessiert zugehört hatte. »Vielleicht brauchen wir auch schon bald ein solches Versteck.«
    »Fein«, rief Lea erfreut, »dann kann ich dort auch Verstecken spielen.«
    »Wie meinst du das, Jakob?«, fragte Lodewig, ohne auf Lea einzugehen, entsetzt, während er nach Sarahs Hand griff, um ihr das Gefühl von Sicherheit zu geben.
    Jakob überlegte lange, ob und was er Lodewig antworten sollte, entschloss sich letztlich doch dazu, offen zu sein: »Nach unserer leidigen Erfahrung werden allerorten, wo die Pest grassiert, wir Juden als Schuldige hingestellt, weil … «
    »Ach, Jakob, das interessiert doch Lodewig nicht«, versuchte Judith mit sanfter Stimme, ihren Mann von diesem heiklen Thema abzubringen. Sie änderte schlagartig Tonfall und Lautstärke: »Verdammt! Jetzt ist mir eine Masche heruntergefallen!«
    »Doch, doch«, warf Lodewig schnell ein, »bitte erzähl’ mir mehr davon. Mich interessiert alles, was mit eurer – mit meiner – Familie zu tun hat.« Dabei sah er Sarah so sanft an, als wenn er sie fragen wollte, ob es falsch war, wie er es soeben formuliert hatte. Er erntete dafür einen mit den Lippen angedeuteten Kuss.
    »Na gut, wenn’s sein muss … Dann pass mal auf!«
    Jetzt hörte Lodewig allerhand Unglaubliches über die Pest in Zusammenhang mit dem jüdischen Volk. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch, dass Jakob Bomberg früher in Antwerpen ein hoch angesehener Buchdrucker gewesen war und dadurch ganz besonders viel von der europäischen Geschichte mitbekommen hatte. So wusste Jakob zu berichten, dass bereits bei der ersten großen Pestwelle, die Europa im 14. Jahrhundert überzogen hatte, die Juden dafür verantwortlich gemacht und gnadenlos verfolgt wurden. »… und dies war dann europaweit immer so, wenn die Pest irgendwo ausgebrochen ist.«
    Jakob begann, Lodewig von seiner Sorge, die aus einer düsteren Vorahnung heraus entstanden war, zu erzählen: »Von Anbeginn an hat man uns Juden vorgeworfen, die Brunnen zu vergiften und dadurch die verhasste Seuche zu bringen.«
    »Wie hat man euch Juden damit in Verbindung bringen können?«, fragte Lodewig erregt.
    »Dummerweise haben im Herbst 1348 jüdische Angeklagte unter der Folter gestanden, Gift in Brunnen und Quellen geschüttet zu haben. Dass sie dieses unwahre Geständnis nur abgelegt haben, weil man ihnen die Brustwarzen und die Geschlechtsorgane mit Zangen abgerissen hat und die damit verbundenen Schmerzen unerträglich waren, hat niemanden

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