Der Peststurm
dem Markt verkauft werden konnten, einfach in den Seelesgraben geworfen würden oder verfaulten, kamen seine Zuhörer ins Grübeln.
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, dass diese dreckige Jüdin die Eier gleich krettenweise in den Bach geworfen hat«, log der ›Pater‹ einmal mehr das Blaue vom Himmel und lieferte gleich eine Rechnung dazu. »Jede dieser Hennen legt pro Tag ein Ei, das eigentlich der Erzeugung von Nachkommenschaft dienen sollte! Das sind bei 50 Hennen pro Tag … «
Um die Wirkung seiner rechnerisch wertlosen Aussage zu erhöhen, tat er an dieser Stelle immer so, als müsse er nachrechnen.
»Sage und schreibe, 50 Eier! Dieses Miststück lässt uns allesamt lieber verhungern, anstatt ihre bäuerlichen Produkte mit uns zu teilen. Wenn ihre Hühner schon zu viele Eier legen, könnte sie doch einen Teil davon ausbrüten lassen, um uns die Küken zu schenken, damit auch jeder von uns mit einer kleinen Hühnerzucht für den Eigenbedarf anfangen könnte. Es ist unmöglich, dass eine vierköpfige Familie die Eier von 50 Hühnern verspeisen kann«, schimpfte der erboste Mann stets so lange, bis er merkte, dass seine monatelangen Hetztiraden endlich den erhofften Erfolg zeitigten und seine Gesprächspartner so nach und nach ins gleiche Horn zu blasen begannen.
Die allgemeine Scheelsucht nahm ihren Lauf, Missgunst keimte auf, Zorn machte sich breit.
Der ›Pater‹ spürte, dass es nicht mehr lange dauern konnte und die Juden würden mit Hilfe einer aufgebrachten Menschenmenge aus ›seinem‹ Haus vertrieben werden. Er selbst wollte sich nicht an dem von ihm geplanten Pogrom beteiligen. Wenn es so weit wäre, würde er aus sicherer Entfernung zusehen, wie die anderen die verhasste Familie eliminierten. Er würde sich nur am Gemetzel ergötzen wollen und danach in Ruhe das verwaiste Haus in Besitz nehmen.
Sollen sich die anderen die Hände schmutzig machen und um die Hühner und die Eier streiten. Hauptsache, die Juden verrecken endlich und ich bekomme das Haus, malte er sich im Stillen schon seine Zukunft aus.
Dass bisher Juden darin gewohnt und die Luft ›verpestet‹ haben könnten, schien ihn kurioserweise nicht zu stören.
Aufgrund der vom Grafen verhängten Ausgangssperre bekam der ›Pater‹ nicht mit, dass es den anderen Anhängern des mosaischen Glaubens anderswo ebenso erging, wie er es sich mit den Bombergs vorstellte. Hätte er gewusst, dass es den Juden auch in anderen Orten des Allgäus an den Kragen ging, würde er sich bestätigt gefühlt und wahrscheinlich schon längst großes Unheil angerichtet haben. Überall dort, wo die Pest grassierte, schürte man zunehmend den Hass gegen die von Gott verdammten ›Brunnenvergifter‹. Aber nicht nur dort, wo die Pest wütete: Auch in nicht betroffenen Orten wurden sie verfolgt und reihenweise umgebracht.
Von den Juden hatte man sowieso noch nie viel gehalten. Schon der gelehrte Petrus Venerabilis hatte sie als ›ohne Verstand und Würde‹ abqualifiziert. Der bedeutende Theologe Thomas von Aquin hatte sie als ›Sklaven der Kirche‹ bezeichnet und der Chronist Kunrat von Megenberg hatte einst gesagt, dass sie der Frauen und aller Christen Feind wären.
Während der Pest genossen notgedrungen nur die Ärzte unter den Juden ein gewisses Maß an Ansehen. Christliche Adlige, reiche Bürger und sogar diejenigen Ratsherren, die zusammen mit den Pfaffen Erlässe gegen die Juden herausgegeben hatten, ignorierten das Verbot für Christen, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Ansonsten mochte man nichts mit ihnen zu schaffen haben. Während die Juden in einigen Städten gegen Zahlung einer saftigen ›Judensteuer‹ Zuflucht fanden, flogen sie aus anderen Städten im hohen Bogen hinaus. In größeren Städten lebten die meisten von ihnen schon längst in Ghettos. Wenn ein Jude nach Mitternacht außerhalb des abgeriegelten Bereiches erwischt wurde, musste er eine saftige Geldstrafe bezahlen, was nichts anderes hieß, als dass er sich von Selbstjustiz freikaufte. Im Wiederholungsfalle drohten ihm in der Regel zwei Monate Kerkerhaft. Um ihre Viertel vor nächtlichen Übergriffen zu schützen, errichteten die Juden Mauern. In manchen Städten wurde ihnen dies sogar von den Stadtvätern auferlegt, damit sie von den ehrbaren Bürgern besser isoliert waren. Die Mauern um die Judenviertel herum sollten zudem gewährleisten, dass sie sich nicht ausweiten konnten. Das Bauen und Kaufen weiterer Häuser wurde ihnen ebenso verwehrt wie die
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