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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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müssen zurück. Ich hangle mich schon mal nach oben, um Euch helfen zu können, damit Ihr die Hände weiter um … «, jetzt packte es auch den gutmütigen, ansonsten eher ruppigen Knecht. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, »…Diederich halten könnt.«
    Als er oben ankam, fragte ihn der Kastellan, was geschehen war. Da Ignaz keinen Ton herausbrachte, zeigte er seinem Herrn wortlos den blutverschmierten Stein und das Holzpferdchen. Der Vater spürte auch ohne Worte sofort, was los war, und half Ignaz zitternd, Lodewig hochzuziehen. Als er Diederich in den Armen des großen Bruders sah, ließ er das Seil los, um intuitiv das Kreuz zu schlagen.
    Ignaz konnte gerade noch verhindern, dass es einen zu starken Ruck gab und Lodewig mitsamt Diederich wieder nach unten stürzte. Da sein Herr nicht mehr zu gebrauchen war, zog Ignaz die beiden allein hoch. Als sie endlich oben waren, strich der immer noch zitternde Vater seinem jüngsten Sohn mit der flachen Hand sanft übers Gesicht, um ihm die Augen zu schließen. Sie sahen den Kleinen, der jetzt – wäre nicht alles über und über voller Blut – einen fast friedlichen Eindruck machte, lange an, bevor sie sich alle drei – Diederich in die Mitte genommen – innig umarmten und ihren Tränen freien Lauf ließen.
     
    *
     
    Bevor sie es der Mutter so schonend wie möglich beibringen wollten, ließ der Kastellan – ungeachtet der drohenden Gefahr durch die Pest – nach Propst Glatt schicken. Ohne an die Möglichkeit der Ansteckung zu denken, lief Ignaz auf direktem Weg ins Propsteigebäude, um priesterlichen Beistand zu holen. Währenddessen hatten der Kastellan und Lodewig dem Kleinen das Blut und den Schmutz abgewaschen und ihn frisch gewandet. Die klaffende Wunde hatten sie sorgsam verbunden. Niemals sollte die Mutter das große Loch am Hinterkopf sehen. Obwohl Vater und Sohn verzweifelt waren, dachten sie in diesem Moment nur an die Mutter.
    »Wie wird sie es aufnehmen?«, fragte Lodewig leise. Dabei war ihm die Stimme schier im Hals steckengeblieben.
    »Ich weiß es nicht, mein Sohn!«
    Die beiden fielen sich immer und immer wieder schluchzend in die Arme, wenn sie den leblosen Körper ihres über alles geliebten Diederich betrachteten.
    »Wo bleibt denn Johannes?«, entfuhr es dem ungeduldigen Vater, der es endlich hinter sich bringen, aber nicht auf kirchliche Unterstützung verzichten wollte, wenn sie den Kleinen zu seiner Mutter brachten. Da der Propst nicht zu Hause war, versuchte es Ignaz in der Kirche. Das dauerte natürlich. Schließlich stöberte er den Seelsorger des Dorfes in der Sakristei auf und berichtete ihm hastig alles, während sie schon auf dem Weg in Richtung Schloss waren.
     
    Vater und Sohn Dreyling von Wagrain hielten Diederich abwechselnd in ihren Armen und wurden nicht müde, sein Gesicht zu streicheln, ihn immer wieder sanft an ihre Herzen zu drücken und zart zu küssen. Es wurde ihnen nicht erst im Angesicht des Todes klar, dass das jüngste Familienmitglied ihr ein und alles – gewesen – war.
    Wie hatten sie es doch geliebt, wenn der Kleine so lange Fragen gestellt hatte, dass ihnen die Antworten ausgegangen waren, oder wenn er wieder einmal nicht hatte einschlafen wollen und Rabatz gemacht hatte. Und wie hatten sie es geliebt, wenn er für Unordnung gesorgt, Vaters Werkzeug verzogen oder Eginhards Bücher versteckt hatte.
    Wie hatten sie sich darüber amüsiert, als er damals Lodewigs Gewandung zum Fenster hinausgeworfen hatte, um zu sehen, ob sie fliegen würde.
    »Wir müssen Eginhard informieren«, unterbrach der Vater plötzlich die nur durch ein leises Schluchzen gestörte Stille. Er ging auf leisen Sohlen zur Schlafkammer seiner Frau und spitzelte hinein. Konstanze schlief gerade, zwar sehr unruhig, aber sie schlief. Das ist gut so, dann hat sie nichts mitbekommen, dachte er.
     
    Endlich fand sich auch Ignaz mit dem Propst, der am liebsten alle umarmen würde, es aus Vorsicht aber etwas unbeholfen bei den Worten »Die Pest … !« beließ, in der Küche ein. Dabei zuckte er Verständnis heischend mit den Achseln. Während der kirchliche Würdenträger in groben Zügen vom vermeintlichen Unfallhergang in Kenntnis gesetzt wurde, kramte er geweihte Utensilien aus einer mitgebrachten Tasche, die er für die Krankensalbung benötigte. Er schlug vor, Diederich sofort und in diesem Raum die Sterbesakramente zu geben, um Konstanze nicht zu belasten.
    »Es wird noch schrecklich genug werden, wenn sie vom Tod ihres

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