Der Peststurm
entlang, um durch das kleine Tor in den Schlosshof zu gelangen. Er hatte Glück, dass die Gittertür wieder unverschlossen war. Fortuna schien ihm heute besonders hold zu sein, denn Diederich spielte unweit von ihm mit seinem schwarzen Holzpferdchen.
Während der Totengräber innerlich vibrierte und überlegte, wie er die Sache am geschicktesten anpacken könnte, blickte er sich immer wieder nach allen Seiten um. Leise zog er sich so weit zum Tor zurück, dass er den Knaben gerade noch sehen konnte. Aus seinem sicheren Versteck heraus begann er, Geräusche von sich zu geben, die von einem Kuckuck stammen mochten. Dabei achtete er darauf, dass sie so leise wie möglich waren, dennoch von Diederich gehört werden konnten. Schon nach ein paar Tönen wurde der Bub aufmerksam und blickte in die Richtung, aus der die ihm bekannte Vogelstimme kam.
Aber er war so in sein Spiel vertieft, dass er sich gleich wieder damit beschäftigte.
»Kuckuck! … Kuckuck!«
Immer wieder schaute Diederich in Richtung der interessanter werdenden Töne. Er drückte sein Holzpferdchen fest an sich und ging langsam in die Richtung, aus der die Lockrufe kamen.
»Na, Diederich, i… i… iist d… dein Pff… Pfff… Pferdchen auch b… bb… b … brav?«, hörte der Totengräber eine stotternde Weiberstimme aus dem Hintergrund, sah aber niemanden.
Sicherheitshalber blickte er sich schon nach seinem Rückzugsweg um.
»Nein«, hörte er Diederich antworten. »Der ›Rabe‹ ist heute ganz, ganz böse und muss jetzt gleich wieder in seinen Stall!«
»Verdammter Mist! Ich habe die Rechnung ohne die dumme Magd gemacht«, entfuhr es dem Totengräber fast hörbar, als er Rosalinde direkt auf sich zukommen sah. Jetzt blieb ihm nur noch, sich hurtig das Treppchen hinunter und über den Garten zur Mauersüdseite zurückzubegeben. Dabei musste er achtsam sein, um weder von Rosalinde noch von den Männern auf dem Dach erblickt zu werden. Da ihm dies gelang, konnte er in Ruhe beobachten, was die Hausmagd tat.
Hoffentlich gräbt die jetzt nicht den ganzen Garten um, dachte er, aus Sorge darüber, dass Diederich zwischenzeitlich weg sein könnte.
Aber Rosalinde schnitt nur etwas Wilden Majoran und begab sich sofort wieder auf den Rückweg. Als er sie nicht mehr sehen konnte, nahm der Totengräber den Weg zum Tor auf die gleiche Weise, wie er es zuvor schon getan hatte. Da er erneut von niemandem gesehen wurde, der Knabe immer noch an gleicher Stelle mit seinem Holzpferdchen spielte und die Magd wieder im Vogteigebäude verschwunden war, ging er die Sache nochmals an: »Kuckuck! … Kuckuck!«
Diederich wurde abermals aufmerksam, nahm seinen ›Raben‹ und ging jetzt langsam in Richtung der Rufe. Da er den Vogel nicht erschrecken, ihn jedoch sehen wollte, bewegte er sich ganz vorsichtig auf Zehenspitzen vorwärts. Immer näher kam er dem Totengräber, der langsam rückwärts schlich, während er zwischendurch weiterhin die Vogelstimme imitierte. Er hatte sich draußen direkt an das kleine Tor gepresst und musste jetzt nur noch warten, bis der Kleine herauskommen würde.
Jetzt ging alles ganz schnell: Der Totengräber packte den Jungen, drückte ihm eine Hand so fest auf den Mund, dass er nicht schreien konnte, und zerrte das zappelnde und wild um sich schlagende Kind samt seinem Holzpferdchen die Mauer entlang zur Südseite des Schlosses. Dort fackelte er nicht lange und knallte den Kopf des hilflosen Kindes einige Male so brutal an die Mauer, dass es krachte. Diederich war sofort tot.
Ruland Berging hielt den regungslosen Körper seines unschuldigen Opfers noch eine ganze Weile an die Wand gedrückt, bevor er ihn langsam zu Boden gleiten ließ. Dabei sah ihm der Mörder eiskalt in die weit aufgerissenen Augen.
Er stützte – das Kind lag direkt vor ihm – seine Hände auf die Knie, um zu verschnaufen. Im Wald war es jetzt ganz still. Erst als er das bekannte Rauschen in den Bäumen hörte, besann er sich wieder und überlegte, wild um sich blickend, was jetzt zu tun war. Er musste nicht lange überlegen: Erst schlug er einen Steinbrocken auf den sowieso schon blutüberströmten Hinterkopf des Kindes und rieb diesen auch noch in der klaffenden Wunde, bevor er den schlaffen Körper im feuchten Erdreich hin- und herzog. Es sollte so aussehen, als wäre Diederich ausgerutscht und dadurch schmutzig geworden. Er schleifte den toten Buben zum Anfang der Falllinie des steilen Abhanges und stieß ihn mit aller Wucht hinunter. Damit später der
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