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Der Pfad der Woelfin

Der Pfad der Woelfin

Titel: Der Pfad der Woelfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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und ich fanden neue Dinge, die uns brennender interessierten.
    Ich hätte viel für ein Mittel gegeben, das es geschafft hätte, mich schneller altern zu lassen, als die Natur es vorsah.
    Aurel behandelte mich zwar nie wie ein kleines Kind, dennoch konnte ich mir selbst gegenüber nicht verleugnen, daß ich eines war.
    Ein ganz kleines, von seinem Vater verlassenes Mädchen ...
    *
    Dann ließ mich auch noch Aurel in dem Winter, in dem ich fünf wurde, im Stich. Tage vorher war mir drastisch klargemacht worden, daß Vater völlig in Lucrezias Bann stand. Und daß es nie wieder zwischen uns sein würde wie zu Zeiten unserer Wanderschaft -oder in den Nächten, da wir unter den Sternen und beschirmt vom Dach des Waldes eine beispiellose Vertrautheit zueinander aufgebaut hatten.
    All dies zerrann nun wie trockener feiner Sand unaufhaltsam zwischen den Fingern.
    Als ich abends in meine Kammer hatte gehen wollen, sah ich Vater auf dem Flur.
    Er hörte mich und drehte sich um. Offenbar hatte er nicht mich erwartet, denn er wirkte fürchterlich erschrocken.
    Und ich erschrak auch.
    Über sein Aussehen!
    Erst jetzt wurde mir bewußt, wie lange ich ihn nicht mehr gesehen hatte.
    Er war völlig abgemagert. Die Augen lagen tief in den Höhlen, auch die Wangen waren eingefallen. Die Knochen des Gesichts wurden von fahler, wächserner Haut überspannt. Seine Lippen waren nur noch dünne Striche.
    Ich mußte leise aufgeschrien haben, denn er zuckte abermals zusammen und wankte dann zögernd auf mich zu, öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
    In diesem Augenblick kam sie aus ihrem Zimmer, faßte ihn am Arm und lenkte ihn dorthin, wo er seine meiste Zeit verbrachte: in Lucrezias Reich.
    Ich wollte etwas rufen, streckte den Arm aus .
    In diesem Augenblick drehte mir Lucrezia das Gesicht über die Schulter zu - und all meine Vorsätze erstickten unter ihrem gnadenlos kalten Blick.
    Fröstelnd wandte ich mich ab, betrat meine Kammer, wie sie ihr Zimmer betraten.
    In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf.
    Ich dachte über alles nach. Jedenfalls über das Wichtigste. Und ich gelangte zu dem Schluß, daß ich keinen Tag länger in diesem Haus bleiben wollte.
    Natürlich sann ich anfangs nach Wegen, wie ich Vater aus dem Bann dieser schrecklichen Frau befreien könnte. Doch nachdem ich mich eine Weile in einen Plan hineingesponnen hatte, erwachte ich jedesmal mit der ernüchternden Einsicht, daß er nicht durchzuführen war.
    Ich hatte es zu oft erlebt: Vater war Lucrezia verfallen, war ihr hö-rig - und nach dem heute aufgefangenen Blick wußte ich, was ich zu erwarten hatte, wenn ich auch nur den Versuch unternahm, ihr Vater abspenstig zu machen. Sie war zu allem fähig .
    Ich nicht.
    Ich fühlte mich matt und kraftlos, als ich am Morgen so tat, als verließe ich das Haus wie jeden Tag - als wäre ich nicht fest entschlossen, nie mehr wiederzukommen.
    So schnell ich konnte, rannte ich zu Aurels Unterschlupf, einem Schuppen am Hafen, wo sich auch andere Kinder verkrochen.
    Ruhig hörte er sich meine Erklärung an, mit der ich ihm beibrachte, daß ich von heute an bei ihm leben wollte.
    Nach all den Enttäuschungen machte ich mich auf Ablehnung gefaßt.
    Aber er war so lieb, so einfühlsam, nahm mich in den Arm und stellte keine Fragen, woher dieser plötzliche Entschluß rührte. Er meinte nur: »Dann werden wohl nur wir beide nach Afrika gehen -du und ich. Das könnte mir gefallen .«
    Und dann sagte er noch etwas, was Tage später eine makabre Bedeutung erhalten sollte - nur konnten weder er noch ich das in diesem Moment ahnen: »Sieht aus, als müßte ich nun für uns beide sorgen - na, es wird schon gelingen .«
    »Ich habe etwas Geld«, sagte ich.
    Und er lächelte: »Das werden wir für unsere Reise aufheben, du weißt schon ...«
    Wenn ich gewußt hätte, wie bald er tot sein würde.
    Wenn ich es nur geahnt hätte .
    *
    13. Januar 1516
    Es schneite, aber es war kein richtiger Schnee, nur nasse Pampe, die ins Schuhwerk drang, die Füße wie mit Eis ummantelte und seine Kälte in jeden Winkel des Körpers ausstrahlte.
    Die Menschen waren noch mürrischer als sonst.
    Seit Tagen ließ sich die Sonne nicht blicken. Der Himmel lag so tief, als versuchte er den Boden zu berühren.
    Ich hatte Halsweh und Schnupfen, wohl auch ein wenig Fieber, und Aurel war unterwegs, um mir eine Arznei zu besorgen.
    Mir war schwindelig, aber im Sitzen ging es, und so hockte ich vor einem Loch in der Verbreiterung des Hafenschuppens und starrte aufs Meer

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