Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
sich. Laerte atmete tief ein, füllte seine Lunge und blies in die Pfeife, und dann noch einmal. Der Rouarg knurrte. Er war jetzt so nah, dass Laerte seinen Atem zu spüren glaubte. Wieder holte er tief Luft und blies, was das Zeug hielt. Ein dumpfes Fauchen erklang, dann ein zweites. Das dritte hielt er so lange durch, bis er puterrot im Gesicht war.
Daraufhin verschwanden die Rouargs, so schnell sie konnten.
Völlig außer Atem erhob sich Laerte. Die Truppen des Kaisers waren längst außer Sichtweite. Das hohe Gras wiegte sich im Wind. Nach und nach erwachte die Natur aus ihrer Starre. Die Frösche begannen wieder zu quaken, und ein Pferd im Rossharnisch trottete wie verloren durch den Sumpf. Seine Zügel schleiften hinter ihm her, der rote Sattel war zerrissen.
Warum …
Laerte suchte nach dem Reiter. Als er ihn fand, wäre er beinahe in Ohnmacht gefallen. Das Bein des Mannes war zerquetscht, und sein Blut hatte sich mit dem Morast vermischt.
Warum hast du es mir nicht gesagt …
Vielleicht war es reines Mitgefühl, das dafür sorgte, dass er sich um den sterbenden Ritter kümmerte. Der Mann atmete nur noch schwach, seine Haut war sehr blass.
Ich habe dich für tot gehalten, ich … ich habe dich für …
Vielleicht war es Barmherzigkeit, die ihn dazu trieb, den Verletzten mit in sein Versteck zu nehmen. Er sah zu, wie der Mann immer schwächer wurde, empfand jedoch weder Mitleid noch Hass. Als er die leere Scheide am Gürtel des Ritters entdeckte, ging er zurück in den Sumpf und suchte nach der Waffe. Fast eine Stunde lang wühlte er bei strömendem Regen im Morast. Der Kloakengeruch machte ihm zu schaffen, aber das war noch gar nichts im Vergleich zu der Angst, die ihm die Eingeweide abschnürte. Immer wieder richtete er sich auf und lauschte. Doch er hörte nur die Regentropfen auf dem weichen Boden. Kein Rouarg machte sich bemerkbar. Schließlich ertastete er das Schwert. Mit jedem Schritt, den er sich seinem Versteck näherte, verlor sich seine Angst ein bisschen mehr.
Der verletzte Ritter lag, in Schweiß gebadet, neben dem Karren, wand sich vor Schmerzen und delirierte.
… warum, Grenouille …
Warum was, Sumpfschnepfe?
In jener ersten Nacht wachte er auf Knien neben dem Sterbenden, das Schwert fest in der Hand. Es regnete in Strömen. Regentropfen, die zwischen den Brettern des Karrens hindurchsickerten, mischten sich mit seinen Tränen. Schluchzend hielt er das Schwert über den zuckenden Körper. Er hätte zuschlagen können. Er hätte die Rüstung durchtrennen und dem Mann das Schwert ins Herz stoßen können. Die Kaiserlichen hatten seinen Vater getötet.
Warum hast du mich dort in den Salinen nicht sterben lassen?
In der zweiten Nacht – er hatte bereits begonnen, die Wunden des Verletzten zu verbinden – zögerte er erneut, ihm den Todesstoß zu versetzen. Das Schwert war so schwer, dass es nur eines etwas heftigeren Stoßes bedurft hätte, und das Gewicht der Waffe hätte den Rest erledigt.
Laerte weinte. Er brachte es nicht fertig. Dabei brannte er vor Begierde, die zu rächen, die er verloren hatte, und auf die barbarischen Praktiken zu antworten, die seiner Mutter und seiner Schwester jede Würde geraubt hatten. Man hatte sie gebrochen – er könnte das Gleiche tun.
Aber er konnte es nicht. Noch nicht.
Du warst noch ein Kind …
Stöhnend ließ er sich auf die Seite sinken, weinte heiße Tränen und verfluchte sich dafür, so schwach zu sein. Zwischen zwei Schluchzern öffnete er die Augen.
Du hättest mich sterben lassen können …
Nur wenige Meter von ihm entfernt saß ein Erain-Frosch und starrte ihn bewegungslos an. Das weiße Mondlicht spiegelte sich in seinen Augen.
Ein Erain-Frosch.
Du warst noch ein Kind …
»Du hättest mich sterben lassen können. Du warst noch ein Kind.«
»Meine Kindheit endete an dem Tag, an dem ich das erste Mal zögerte«, antwortete Laerte.
Kaum, dass er sich noch der feuchten lauen Luft der Salinen erinnerte. Hier in Masalia waren die Nächte heiß und stickig. Alles war anders.
»Und an dem Tag, an dem ich dich rettete, habe ich gezögert«, fügte er sehr ruhig hinzu.
Er lehnte mit verschränkten Armen an einer Küchenwand und musterte den alten General, der am Tisch saß, mit durchdringend grauen Augen. Vor ihnen lag Eraëd auf der Decke, in die es jahrelang eingeschlagen gewesen war, und funkelte im Licht einer Öllampe. Rogant stand wie ein Wächter neben der Tür. Auf der anderen Seite des Raums stützte sich Viola mit
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