Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
aufkündigten. Der Besitz, den die Familie Uster seit Jahrhunderten hütete und den Oratio der Welt enthüllen wollte.«
Sie hob den Kopf. Ihre Augen begegneten dem ungläubigen Blick des Generals.
»Das Buch.«
»Welches Buch?«, fragte Dun-Cadal mit zugeschnürter Kehle.
»Das Buch«, wiederholte Viola und nickte.
»Damit könnt Ihr niemanden überzeugen, Azdeki!«, rief Anvelin aus voller Kehle. »Niemand kann es lesen. Niemand!«
Die Gestalt des Ratsherrn entfernte sich durch das Flurgewölbe. Im Licht der Fackeln wirkte sein Schatten überdimensional groß. Nachdem er die Treppe hinaufgestiegen war, hörte man nur noch das Knistern des Feuers.
»Niemand!«, schluchzte Anvelin erstickt.
Müde ließ er sich am Gitter hinuntergleiten. Die Schritte, die sich näherten, hörte er nicht. Erst als ein Schatten auf ihn fiel, hob er die Augen, und ein seliges Lächeln erhellte sein ausgezehrtes Gesicht.
»Du warst also da?«, freute er sich. »Ja, du bist immer da. Immer. Wie eine Erinnerung. Du verlässt mich nicht.«
Der Schatten blieb stumm. Er trug eine goldene Maske mit einem Riss und taxierte Anvelin ohne die mindeste Regung.
»Es steht geschrieben, nicht wahr?« Anvelin schwankte zwischen Glück und Erschöpfung. »Die Götter haben alles vorhergesehen. Sollte das Geschlecht der Reyes untergehen, würdest du uns rächen. Und es ist richtig, dass wir des Regierens würdig sind. Wir haben uns nicht getäuscht. Ich bete jeden Tag, um den Göttern zu danken, wusstest du das? Jeden Tag!«
Plötzlich wirkte er zerknirscht.
»Nein, ich habe nie gezweifelt. Nie habe ich am Liaber Dest gezweifelt. Aber es war schon seit Jahrhunderten so: Die Usters hatten das Buch, wir hingegen das Schwert. So war es nun einmal.«
Erneut lächelte er.
»Du warst also da?«, fragte er, als wäre der Schatten gerade erst aufgetaucht. »Ja, du bist immer da. Immer. Wie eine Erinnerung.«
Der Schatten wandte sich zur Treppe. Sein grüner Umhang wehte hinter ihm her.
»Du verlässt mich nicht. Nie!«, schluchzte Anvelin.
Dun lehnte an der Wand. Er betrachtete den Holzboden und wusste nicht so recht, wo er sich befand und wie er hergekommen war. Seine Gedanken waren wie ausgelöscht. Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihm, das schlimmste jedoch war unsägliche Trauer. Eine Wunde tief in seinem Innern hatte angefangen zu bluten und zerriss ihm das Herz.
Es gab nur einen Grund dafür, dass er gescheitert war.
»Das Liaber Dest «, murmelte er.
Der Stuhl knarrte leise, als Viola aufstand und zu ihm kam. Ihr Lavendelduft riss ihn aus seiner Verwirrung.
»Anlässlich der Hochzeit seines Sohns während der Nacht der Masken wird Etienne Azdeki den geladenen Ratsherrn das Heilige Buch präsentieren.« Viola sprach ernst und wog jedes Wort ab. »Könnt Ihr Euch vorstellen, was ein Mann erreichen kann, der das Schicksal der Welt in Händen hält? Und welchen Ruf er beim Volk genießen wird?«
»Er wird angesehen werden wie ein Gott«, nickte Dun.
»Dank Anvelin Evgueni Reyes hat er sich mit dem Fangol-Orden verbünden können«, fuhr sie fort. »Während der Nacht der Masken steht das Schicksal der gesamten Republik auf dem Spiel. Es geht sowohl um die Politik als auch um unseren Glauben. Deswegen sind wir hier, Dun-Cadal.«
»Und das Schwert?«, fragte er.
Er fühlte sich wie betäubt und suchte noch immer nach seinem Platz in dieser Geschichte. Zumindest hatte Viola ein wenig Licht in das Dunkel des Abgrunds gebracht, in den er seit einiger Zeit zu stürzen schien.
»Ihr wisst schon mehr als genug«, entschuldigte sich Viola mit einem blassen Lächeln. »Laerte wäre alles andere als begeistert, wenn er wüsste, was ich Euch schon alles erzählt habe.«
Sie wandte sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Wisst Ihr, warum Ihr hier seid?«, fragte sie ein wenig verlegen.
Sie stand da, die Hand auf dem Türknauf. Das Licht der Öllampe an der Wand vereinigte sich mit ihren Sommersprossen, als leuchteten zwei Feuer auf weißer Seide. Ihre grünen Augen blickten ihn zärtlich an.
Dun schüttelte den Kopf.
»Ich kenne ihn kaum«, sagte sie. »Aber nach allem, was ich weiß, und dem, was Ihr mir erzählt habt, glaube ich, dass …«
Sie blickte sich im Zimmer um und suchte nach den richtigen Worten.
»… dass er Euch braucht.«
Laerte folgte Azdeki im Schatten der Säulen durch die Gänge des Palasts. Auf der obersten Stufe der Treppe zum Ballsaal blieb er stehen und beobachtete, wie der ehemalige Hauptmann
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